Der lange Arm des Y-Chromosoms spielt eine essentielle Rolle für die männliche Fertilität. Auf ihm befinden
sich drei Spermatogenese regulierende Gen-Loci, die als Azoospermiefaktoren bezeichnet werden. Mikrodeletionen
im Y-Chromosom betreffen häufig einen oder mehrere dieser Azoospermiefaktoren und führen dann zu schweren
Spermatogenese-Defekten. Mit Hilfe assistierter Reproduktionstechniken kann einem Großteil der betroffenen Männer
dennoch zur Vaterschaft verholfen werden. In solchen Fällen ist eine eingehende humangenetische Beratung der Paare
angezeigt, zumal davon ausgegangen werden muss, dass die mit der genetischen Anomalität verbundene Infertilität
auf männlichen Nachwuchs vererbt wird.
Oligo- und Azoospermie als Folge Y-chromosomaler Mikrodeletionen
Auch ohne die Daten der erst kürzlich erfolgten Sequenzierung der Männer-spezifischen Region des Y-Chromosoms (MSY) war man bereits vor einiger Zeit auf drei separate Bereiche gestoßen, die für die Fertilität des Mannes eine entscheidende Rolle spielen. Bei einem Verlust dieser als Azoospermiefaktoren (AZFa, AZFb, AZFc) bezeichneten Loci kommt es zu mehr oder minder schweren Spermatogenese-Defekten. In den Hodenbiopsien betroffener Männer findet man verschiedene Anomalien der Keimzellentwicklung wie das Sertoli-cell-only-Syndrom, einen Reifungsstillstand und eine Hypospermatogenese.
Die Sex-determinierende Region des Y-Chromosoms (SRY) liegt auf dem kurzen Arm (p = petite) des Y-Chromosoms. Auf dem langen Arm des Y-Chromosoms sind drei separate Bereiche identifiziert worden, die für die Spermatogenese eine essentielle Rolle spielen. Treten in diesen als Azoospermiefaktoren bezeichneten Loci (AZFa, AZFb und AZFc) Deletionen auf, sind die betroffenen Männer zumeist infertil bzw. subfertil. Solche genetischen Defekte treten zumeist als Mikrodeletionen auf und lassen sich nur mit molekulargenetischen Methoden nachweisen. Die häufigste Mikrodeletion auf dem Y-Chromosom betrifft den AZFc-Locus. Männer mit einem solchen genetischen Defekt produzieren vielfach dennoch Spermien, die aus dem Ejakulat oder durch intratestikuläre Spermienextraktion (TESE) gewonnen werden können. |
Submikroskopische Deletionen in den AZF-Regionen treten normalerweise spontan in der Keimbahn auf. Allerdings ist
jüngst auch ein Fall bekannt geworden, bei dem ein Mann trotz einer Deletion in der AZFc-Region fertil war und den
Defekt natürlicherweise auf männliche Nachkommen vererbt hat [2].
Ein Screening auf AZF-Deletionen in Fällen schwerer Spermatogenese-Defekte, wie es auch von der European Society
of Human Reproduction and Embryology empfohlen wird, scheint sich in letzter Zeit immer mehr durchzusetzen.
Insbesondere sinnvoll erscheint ein solcher Test, bevor assistierte Reproduktionstechniken angewandt werden.
Darin liegt auch eine Voraussetzung für eine kompetente genetische Beratung. Paare, die sich auf die artifizielle
Befruchtung einlassen, sollten genauestens darüber aufgeklärt sein, dass die genetische Anomalität im Y-Chromosom
wahrscheinlich auf ein männliches Kind vererbt wird.
Zur Diagnostik Y-chromosomaler Mikrodeletionen stehen relativ teure kommerzielle Kits zur Verfügung. Kostengünstiger
sind eigenständig entwickelte PCR-Techniken wie z.B. eine französische Methode, bei der die zu untersuchende DNA
aus Abstrichen der Wangenschleimhaut extrahiert wird [3].
Liegt bei einem Mann eine vollständige Deletion des AZFa-Locus vor, findet man in Hodenbiopsien immer ein Sertoli-cell-only-Syndrom [4]. Hingegen kann bei partiellen AZFa-Deletionen der histologische Befund auch auf andere Spermatogenese-Defekte hindeuten. Alle bisherigen Untersuchungen weisen darauf hin, dass sich aus den Hoden von Patienten mit einer vollständigen oder ausgedehnten AZFa-Deletion keine Spermien extrahieren lassen. Gleiches trifft offenbar auch für AZFb-Deletionen zu.
Am ehesten lassen sich Spermien bei Männern mit einer Mikrodeletion im AZFc-Locus gewinnen. Bei ihnen ist die Erfolgsquote der testikulärer Spermienextrak-tion (TESE) nicht signifikant niedriger als bei Männern mit einer idiopathischen, nicht-obstruktiven Azoospermie [5]. Zudem scheint die Spermienproduktion dauerhaft in Gang zu sein [6].
Wenn sich befruchtungsfähige Spermien gewinnen lassen, ist die Chance auf Zeugung eigener Kinder bei Männern, die
aufgrund Y-chromosomaler Mikrodeletionen als infertil gelten, mit Hilfe assistierter Reproduktionstechniken durchaus
nicht schlechter als bei Kontrollen mit einem normalen Y-Chromosom [5, 6]. In einer weiteren Studie erreichten die
Spermien subfertiler Männer mit einer AZFc-deletionsbedingten Oligozoospermie bei der ICSI allerdings nur eine geringere
Befruchtungsrate und die Embryonen hatten eine schlechtere Qualität als die von oligozoospermiden Männern mit einem intakten
Y-Chromosom. Nach einer erfolgreichen Fertilisation waren die Implantations-, die Schwangerschafts- und die
Take-Home-Baby-Rate zwischen beiden Gruppen aber nicht signifikant unterschiedlich [7].
Literatur:
[1] Dohle RG, Halley DJJ, van Hemel JO, et al. 2002.
Genetic risk factors in infertile men with severe oligozoospermia and azoospermia. Hum Reprod 17:13-16.
[2] Kühnert B, Gromoll J, Kostova E, et al. 2004.
Case report: natural transmission of an AZFc Y-chromosomal microdeletion from father to his sons. Hum Reprod DOI:10.1093/humrep/deh186.
[3] Aknin-Seifer IE, Touraine RL, Lejeune H, et al. 2003.
A simple low cost and non-invasive method for screening Y-chromosome microdeletions in infertile men. Hum Reprod 18:257-261.
[4] Kamp C, Huellen K, Fernandes S, et al. 2001.
High deletion frequency of the complete AZFa sequence in men with Sertoli-cell-only syndrome. Mol Hum Reprod 7:987-994.
[5] Choi JM, Chung P, Veek L, et al. 2004.
AZF microdeletions of the Y chromosome and in vitro fertilization outcome. Fertil Steril 81:337-341.
[6] Oates RD, Silber S, Brown LG, Page DC. 2002.
Clinical characterization of 42 oligospermic or azoospermic men with microdeletion of the AZFc region of the Y chromosome,
and of 18 children conceived via ICSI. Hum Reprod 172813-2824.
[7] van Golde RJT, Wetzels AMM, de Graaf R, et al. 2001.
Decreased fertilization rate and embryo quality after ICSI in oligozoospermic men with microdeletions in the azoospermia
factor c region of the Y chromosome. Hum Reprod 16:289-292.
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