Botulinumtoxine werden seit 1981 bei unterschiedlichen Indikationen therapeutisch
eingesetzt (Tab. 1). Auch in der Urologie gewinnt ihr Einsatz in der Therapie neurogener und
nicht-neurogener Blasenfunktionsstörungen zunehmend an Bedeutung. Im nachfolgenden
Beitrag wird der heutige Stand der Botulinum-Therapie in der Urologie zusammenfassend dargestellt.
Therapiegrundlagen
Botulinumtoxin wird vom grampositiven, stäbchenförmigen, sporenbildenden Bakterium
Clostridium botulinum unter anaeroben Bedingungen produziert. Es stellt das stärkste
bekannte Gift dar. Theoretisch können mit 1 mg des Toxins bis zu 10.000 Menschen getötet werden.
Insgesamt sind sieben immunologisch unterschiedliche Serotypen des Botulinumtoxins bekannt
(BTX-A/B/C/D/E/F/G), von denen sich aber nur BTX-A und BTX-B in breiter klinischer Anwendung
befinden (Tab. 2).
Das eigentliche Botulinumprotein besteht aus einer schweren Kette (ca. 100 kD) und einer
leichten Kette (ca. 50 kD), die von Hüllproteinen umgeben sind. Das Toxin bindet über die
schwere Kette mit hoher Affinität an cholinerge Nervenendigungen im Bereich der Synapsen
von motorischen Endplatten, in sympathischen und parasympathischen Ganglienzellen sowie in
postganglionären parasympathischen Zellen. Nach der Bindung wird das Toxin in die Nervenzellen
aufgenommen und dort in die leichte und schwere Kette gespaltet. Die leichte Kette wandert
anschließend zur präsynaptischen Membran. Dort spaltet der Toxin-Serotyp A als Endoprotease
das SNAP-25 (synaptosomal-associated protein of 25 kD), der Serotyp B das vesicle associated
membrane protein (VAMP). SNAP-25 und VAMP sind Bestandteile eines Fusionskomplexes aus drei
Proteinen (SNAP-25, Syntaxin, VAMP). Dieser Komplex ist notwendig, damit die mit Azetylcholin
gefüllten Vesikel der Nervenzellen mit der präsynaptischen Membran verschmelzen können und so
Azetylcholin freigesetzt wird, das dann wiederum mit den Azetylcholinrezeptoren der Synapse
der Muskelzellen reagiert und die Muskelkontraktion auslöst. Das Botulinumtoxin unterbindet
damit präsynaptisch die Ausschüttung von Azetylcholin; es resultiert eine schlaffe Lähmung
der nachgeschalteten Muskulatur (chemische Denervierung).
Die biologische Aktivität des Botulinumtoxins wird in sog. Mouse Units (MU) angegeben. Dabei
entspricht 1 MU der Toxinmenge, die nach intraperitonealer Gabe bei 50% der Mäuse zum Tode
führen würde (= LD50). Die MU der verschiedenen BTX-Serotypen unterscheiden sich bei den
kommerziell erhältlichen Präparaten. Ein Umrechnungsfaktor wurde bisher nur für die zervikale
Dystonie etabliert: 1 MU Botox® = 4 MU Dysport® = 50 MU Neurobloc®. Diese Umrechnungsformel
darf aber nicht automatisch auf andere Organsysteme wie die Harnblase übertragen werden. Im
Urogenitaltrakt geht man bei den beiden am häufigsten verwendeten Präparaten von einem
Umrechnungsfaktor Botox® : Dysport® von 1 : 3 bis 1 : 5 aus. Letztendlich muss aber für
jedes Präparat und für jedes Anwendungsgebiet die therapeutische Dosis jeweils neu ermittelt
werden.
Im Tiermodell diffundiert BTX-A nach intramuskulärer Injektion von 10 MU/0,1 ml bis zu 4,5 cm
weit. Der biologische Effekt nimmt abhängig von der injizierten Menge vom Injektionsort zur
Peripherie hin ab. Faszien stellen mechanische Barrieren dar, die die Diffusion des Toxins
erheblich behindern können (zu beachten bei der Injektion in eine fibrotisch veränderte
Harnblasenwand!).
Nach einigen Monaten wird das Toxin proteolytisch inaktiviert; es kommt zur Bildung von neuen
Fusionsproteinen, und die Synapse wird wieder funktionstüchtig. Parallel dazu erfolgt in quergestreifter
Skelettmuskulatur eine Reinnervation der gestörten neuromuskulären Übertragung durch Aussprossung
(sprouting) neuer terminaler Nervenendigungen. Ein solches Sprouting konnte bisher in der glatten
Harnblasenmuskulatur nicht nachgewiesen werden [1].
Ansatzpunkte der Botulinum-Therapie im Bereich der Harnblase
Das Wirkprinzip einer präsynaptischen Blockierung im Bereich der cholinergen neuromuskulären
Übertragung mit nachfolgender schlaffer Lähmung der nachgeschalteten Muskulatur lässt sich im
Bereich der Harnblase in unterschiedlicher Weise ausnutzen.
Die physiologische Harnblasenfüllung und Harnblasenentleerung unterliegen einem komplexen
Zusammenspiel sympathischer, parasympathischer und somatischer Regelkreisläufe, deren Endstrecke
vereinfacht dargestellt im Bereich der Harnblase der parasympathisch cholinerg innervierte Musculus
detrusor vesicae, der alpha-adrenerg innervierte Blasenhals und der cholinerg innervierte
Sphinkter-externus-Bereich im Diaphragma urogenitale ist (Abb. 1).
Nur das korrekte Zusammenspiel von M. detrusor vesicae und internem bzw. äußerem Schließmuskelsystem
ermöglicht eine korrekte physiologische Urinspeicherung bei niedrigen intravesikalen Drücken und
eine Miktion mit Detrusorkontraktion und gleichzeitiger Relaxierung des Beckenbodens (Abb. 2).
Klinisch bedeutsame Störungen in diesem Zusammenspiel sind die Detrusor overactivity und das Dysfunctional
voiding bzw. die neurogene Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (Klassifikation der International Continence
Society [ICS] aus dem Jahr 2002).
Dysfunctional voiding und Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie
Kommt es während der Miktionsphase nicht zur Entspannung des Beckenbodens, so resultiert daraus eine
subvesikale Obstruktion. Bei neurogenem Grundleiden wird dies bei Steigerung der Beckenbodenaktivität
während der Miktion als Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie bezeichnet, bei lediglich fehlender Beckenbodenentspannung
als Non-Relaxing Urethral Sphincter Obstruction; bei neurologisch gesunden Patienten sind solche Störungen
als Dysfunctional voiding klassifiziert (ICS-Klassifikation, 2002).
Das klinische Bild des Dysfunctional voiding ist durch einen abgeschwächten, stakkatoförmigen Harnstrahl
und durch Restharnbildung charakterisiert. Insbesondere die Restharnbildung führt zu weiteren klinischen
Symptomen wie Harnweginfekten und in schweren Fällen zur konsekutiven Schädigung des oberen Harntraktes mit
vesikorenalem Reflux, Stauungsnieren, Pyelonephritiden bis hin zu bleibenden Nierenschäden. Das therapeutische
Spektrum umfasst beim Dysfunctional voiding insbesondere die Konditionierung mittels Miktionstrainings ggf.
unter Biofeedback-Kontrolle. Bei neurogener Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie sind solche Konditionierungsmaßnahmen
aufgrund der gestörten nervalen Versorgung nicht erfolgversprechend. Hier steht z.B. bei Querschnittsymptomatik
und Restharnbildung der saubere oder sterile intermittierende Einmalkatheterismus im Mittelpunkt der Therapie,
bei Therapieversagen die Sphinkterotomie mit dem Problem der nachfolgenden Harninkontinenz. Bei
Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie bzw. Dysfunctional voiding kann durch die periurethrale
Botulinum-A-Injektion mit konsekutiver Lähmung des quergestreiften Diaphragma urogenitale die Miktion
verbessert und die Restharnbildung reduziert werden. Die Injektion erfolgt dabei entweder über das Perineum
oder transvaginal periurethral in den Beckenboden oder (von den Urologen) bevorzugt unter endoskopischer Kontrolle
im Sinne einer Quadranten-Injektion im Bereich des sichtbaren Sphinkterbereichs (Abb. 3). Die injizierte
Dosis hängt vom Injektionsort und vom gewählten Präparat ab (Tab. 3).
Detrusorüberaktivität
Die Detrusorüberaktivität ist durch vorzeitige, unwillkürliche Detrusorkontraktionen definiert.
Die Detrusorüberaktivität kann
durch neurogene Störungen (frühere Bezeichnung: Detrusorhyperreflexie)
oder nicht-neurogene Störungen (frühere Bezeichnung: Detrusorinstabilität) bedingt sein. Das klinische
Bild der Detrusorüberaktivität wird durch häufigen Harndrang (bei neurogener Genese nur bei erhaltener
Harnblasensensorik), Pollakisurie und ggf. Harninkontinenz (Detrusor overactivity incontinence)
charakterisiert.
Das therapeutische Spektrum umfasst die anticholinerge orale Medikation mit tertiären (z.B. Oxybutynin,
Flavoxat, Propiverin) oder quartären (Trospiumchlorid) Aminen, die sakrale Neuromodulation bzw. sakrale
Deafferentation (bei komplettem Querschnitt), die Blasen(auto)augmentation und die Harnblasenersatzplastik
(wenn die Urethra für die Miktion oder für einen intermittierenden Einmalkatheterismus nicht benutzbar ist).
Bei der Detrusorüberaktivität kann die Blockierung der Detrusormuskulatur durch die transurethrale
Injektion von Botulinumtoxin ein Therapieansatz bei Versagen der oralen Therapie sein, bevor
Maßnahmen wie die Blasenaugmentation oder die Blasenersatzplastik durchgeführt werden müssen. Hierbei
wird in Abhängigkeit vom gewählten Präparat die Toxinmenge mittels einer konventionellen
Nadel über
ein Zystoskop in ca. 30 Einzelinjektionen in die Detrusormuskulatur injiziert (Tab. 4;
Abb. 4).
Die Ureterostien und das Trigonum bleiben dabei ausgespart, um den physiologischen vesikoureteralen
Verschlussmechanismus und die physiologische Öffnung des Harnblasenhalses bei der Miktionseinleitung
nicht zu beeinträchtigen.
Überwiegend findet in der Urologie das BTX-A-Präparat Botox® Verwendung. Nur vereinzelt
sind Studienergebnisse mit Dysport® publiziert. Für Xeomin® wurden bisher keine Studienergebnisse
zum Einsatz bei Harnblasenfunktionsstörungen veröffentlicht. BTX-B (Neurobloc®) findet gelegentlich
bei BTX-A-resistenten Blasenfunktionsstörungen Anwendung [2]. Die therapeutische Effizienz
der Botulinumtoxin-B-Injektion ist durch eine Doppelblindstudie belegt [3].
Therapieergebnisse
Sowohl für die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie bzw. für das Dysfunctional voiding wie auch für die
neurogene und idiopathische
Detrusor overactivity wurden in den letzten Jahren Studien publiziert,
die die Effektivität der Botulinum-Injektion bei diesen Symptombildern belegen.
Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie
In dieser Indikation wurde Botulinumtoxin ursprünglich zum ersten Mal im Bereich der Urologie
eingesetzt [4]. Es handelte sich um die perineale Injektion von BTX-A bei
querschnittgelähmten Patienten mit hohem Querschnitt und dyssynergem Miktionsverhalten, bei denen
ein Einmalkatheterismus nicht möglich war. Durch die BTX-A-Injektion kam es zu einer signifikanten
Abnahme der Restharnmenge bei gleichzeitiger Reduktion des Urethraldruckes. Schurch et al. untersuchten
die periurethrale und die perineale Injektion von 100 MU Botox® bzw. 250 MU Dysport® und fanden
dabei – gemessen am urethralen Verschlussdruck während der dyssynergen Miktion – Vorteile für die
transurethrale Injektionstechnik (Reduktion des urethralen Verschlussdruckes um ca. 50% bei
transurethraler Injektion und von ca. 40% bei perinealer Injektion)
[5]. Der Effekt der BTX-A-Injektion
konnte durch de Sèze et al. in einer prospektiv durchgeführten Doppelblindstudie bei
Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie unterschiedlicher Genese (Querschnittlähmung, Multiple
Sklerose) mit einer periurethralen Injektion von 100 MU BTX-A bzw. von 0,5% Lidocain gezeigt werden.
Durch die Injektion von BTX-A wurde das Restharnvolumen signifikant vermindert und der urethrale Druck
bei dyssynerger Miktion signifikant reduziert, während durch die Injektion von Lidocain keine Veränderungen
erreicht werden konnten (Tab. 5). Der Therapieeffekt hielt bei 46% der Patienten drei
Monate an [6].
Dysfunctional voiding
Die Therapieerfahrungen aus der Behandlung der Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie wurden von einer Reihe
von Untersuchern auch auf das nicht-neurogene Dysfunctional voiding übertragen. Die Datenlage ist dabei
unübersichtlich, da in diese Patientenkollektive zum Teil Patienten mit neurogenen Grund- oder
Begleiterkrankungen wie Multiple Sklerose und periphere Neuropathien mit aufgenommen und diese Patienten
lediglich von der klassischen Indikation bei querschnittgelähmten Patienten mit dyssynergem Miktionsverhalten
abgegrenzt wurden. Innerhalb dieser Kollektive sind dann Patienten mit nicht-neurogenem Dysfunctional voiding
oft nicht weiter aufgeschlüsselt. Insgesamt zeigen aber die Untersuchungen, so zum Beispiel Kuo im bisher
größten publizierten Krankengut mit 103 Patienten, den Effekt der transurethralen Botulinum-Injektion bei
Dysfunctional voiding unterschiedlichster Genese. Kuo fand nach transurethraler Botulinum-Injektion
(50–100 MU Botox®) eine Reduktion des
maximalen urethralen Verschlussdruckes von durchschnittlich
65 auf 48 cm H2O, des maximalen Miktionsdruckes von durchschnittlich 62 auf 43 cm H2O und des
Restharnvolumens von durchschnittlich 226 auf 112 ml. Bei 39 von 45 Patienten (= 87%), die bei chronischem
Harnverhalt mit Dauerkatheter versorgt waren, konnte postoperativ der Dauerkatheter entfernt werden [7].
Für Kinder mit Dysfunctional voiding existiert bisher nur der Fallbericht eines siebenjährigen Mädchens,
das bei rezidivierenden Harnweginfekten und Enuresis bei Detrusor overactivity und Dysfunctional voiding
nach frustanen verhaltenstherapeutischen und medikamentösen Therapieversuchen mittels periurethraler
Botulinum-Injektion behandelt wurde. Nach Quadranten-Injektion von 20 MU Botulinum blieb das Kind
bei einem follow-up von 18 Montaten ohne weitere Therapie symptomfrei [8].
Neurogene Detrusorüberaktivität
Die neurogene Detrusorüberaktivität stellt nach der Erstpublikation von Stöhrer et al. (1999) heute
sicherlich die häufigste Indikation zur Botulinum-Therapie dar [9]. Es wurde in der Zwischenzeit eine
Reihe von Studien publiziert, die den therapeutischen Benefit der Botulinum-Injektion zeigen. Exemplarisch
seien die Therapieergebnisse an 200 Patienten (davon 167 Patienten mit Querschnittverletzung) dargestellt,
die an verschiedenen europäischen Zentren behandelt wurden [10] (Tab. 6).
Bei diesen Patienten konnte nach Injektion
von 300 MU BTX-A im Durchschnitt eine Erhöhung des Harnblasenvolumens von 272 auf 420 ml bei gleichzeitiger
Zunahme des Restharnvolumens von 236 auf 387 ml erreicht werden. 132 der 180 inkontinenten Patienten waren
nach BTX-A-Injektion komplett kontinent. Der Therapieeffekt war im Durchschnitt neun Monate nachweisbar.
Für den Einsatz von Botulinum-toxin bei neurogener Detrusor overactivity im Kindesalter liegen limitierte
Beobachtungen vor. Es handelt sich dabei in der Regel um Kinder mit Meningomyelozele und neurogener Detrusorüberaktivität,
die auf die konventionelle Therapie mit oralen Anticholinergika mit und ohne begleitenden intermittierenden
Einmalkatheterismus nicht ansprachen. Schulte-Baukloh et al. [11] und Riccabona et
al. [12] berichten über 20 bzw. 15 Kinder mit neurogener Detrusorüberaktivität bei Meningomyelozele
und erfolgloser konservativer Therapie. Nach transurethraler intramuskulärer Injektion von 10 bzw. 1
2 MU BTX-A/kg KG vergrößerte sich das durchschnittliche Reflexvolumen
sowie die maximale Blasenkapazität
signifikant, der maximale Detrusordruck wurde deutlich reduziert
(Tab. 7). Bei gleichzeitigem intermittierendem
Einmalkatheterismus wurden 13 von 15 Kindern kontinent [12]. Der Effekt der Injektion hielt
ca. sechs Monate vor. Bei wiederholten Injektionen waren die urodynamisch messbaren Verbesserungen auch nach
fünf Injektionen mit der Erstinjektion vergleichbar, so dass der Therapieeffekt auch bei mehrfacher Injektion
nicht verloren ging [13].
Nicht-neurogene Detrusorüberaktivität
Analog zur neurogenen Detrusorüberaktivität wurde BTX-A auch mit Erfolg bei nicht-neurogener Detrusorüberaktivität
eingesetzt. Kuo berichtet über 20 Patienten mit Dranginkontinenz, von denen neun Patienten nach Injektion von
200 MU BTX-A wieder kontinent waren, acht Patienten eine Besserung verspürten und nur drei Patienten ohne
therapeutischen Benefit blieben. Bemerkenswert ist, dass bei sechs Patienten wegen großer Restharnmengen der
intermittierende Einmalkatheterismus notwendig wurde, und dass 15 von 20 Patienten über eine verzögerte und
erschwerte Miktionseinleitung berichteten. Der Effekt der BTX-Injektion war urodynamisch über einen Zeitraum
von über sechs Monaten nachweisbar [14]. Werner et al. injizierten bei 26 Frauen mit Dranginkontinenz
100 MU BTX-A in den M. detrusor [15]. Bei den Kontrolluntersuchungen waren nach vier Wochen 14 von 26 Frauen,
nach zwölf Wochen 13 von 20 Frauen und nach 36 Wochen drei von fünf Frauen kontinent. Bei zwei Frauen wurde ein
vorübergehender Einmalkatheterismus notwendig. Flynn et al. konnten bei schwerer Dranginkontinenz bei 20 Frauen
eine Reduktion der täglichen Inkontinenzepisoden von durchschnittlich 7/Tag auf 1,66/Tag nach drei Monaten
erreichen; danach nahm die Zahl der Inkontinenzepisoden wieder auf 4/Tag zu, so dass in dieser Arbeit der
Therapieeffekt über drei Monate nachweisbar war [16].
Popat et al. verglichen den Einsatz von 200 MU bzw. 300 MU Botulinumtoxin bei nicht-neurogener bzw.
neurogener Detrusorüberaktivität [17]. Dabei waren die Therapieergebnisse trotz niedrigerer
BTX-A-Dosis bei nicht-neurogener Detrusorüberaktivität vergleichbar, mit etwas besseren Therapieergebnissen
bei neurogener Detrusorüberaktivität (Tab. 8). Ob diese Tendenz zu besseren Therapieergebnissen bei
neurogener Detrusorüberaktivität durch die höhere BTX-A-Dosis hervorgerufen wird, bleibt in der Arbeit
ungeklärt. Auch in dieser Untersuchung mußten 69% der Patienten mit neurogener Detrusorüberaktivität und
19% der Patienten mit nicht-neurogener Detrusorüberaktivität postoperativ einen intermittierenden
Einmalkatheterismus durchführen.
Weitere, zurzeit nicht gesicherte Indikationen für eine Botulinum-Therapie
Interstitielle Zystitis
BTX-A wurde bei Patienten mit klinisch gesicherter interstitieller Zystitis eingesetzt.
Im Gegensatz zur Detrusorüberaktivität erfolgte in den vorliegenden Untersuchungen die
BTX-A-Injektion in das Trigonum und in den Blasenboden, um die hier vorliegende dichte
sensorische Innervation zu treffen, ohne gleichzeitig die Blasenentleerung durch eine
chemische Denervierung der Detrusormuskulatur zu beeinträchtigen. Für die in den Arbeiten
postulierte Wirkung von Botulinum auf sensorische Nervenfasern gibt es aber zurzeit keine
experimentell abgesicherten pathophysiologischen Grundlagen. Smith et al. berichten über
einen deutlichen Therapieeffekt bei 13 Patienten mit interstitieller Zystitis nach
BTX-A-Injektion in das Trigonum und in den Harnblasenboden mit einer Steigerung der
maximalen Blasenkapazität um ca. 58% und einer Reduktion der Miktionsfrequenz um ca. 45%.
Die Schmerzen besserten sich – gemessen an einer visuellen Analogskala – um 79%. Die
subjektive Befundbesserung war für drei Monate nachweisbar [18]. In einem
vergleichbaren Therapieansatz mit simultaner BTX-A-Injektion sowohl in die Detrusormuskulatur
(100 MU) wie auch in das Trigonum (100 MU) konnte Kuo dagegen nur bei zwei von zehn Patienten
mit interstitieller Zystitis eine subjektive Befundverbesserung erreichen; kein Patient wurde
symptomfrei [19]. Kuo, sonst ein Protagonist der Botulinum-Therapie,
folgert daraus, dass Botulinum in der Therapie der interstitiellen Zystitis keinen Stellenwert hat.
Sonstige Blasenentleerungsstörungen
Erste limitierte Anwendungsbeobachtung bei schlaffer Blase (Detrusor underactivity) oder
subvesikaler Obstruktion sind beschrieben [20, 21]. Diese letztendlich bisherigen
Einzellfallberichte bedürfen aber der weiteren Überprüfung in größeren Untersuchungsserien.
Zusammenfassung
Sowohl für BTX-A wie auch für BTX-B konnte durch Studien der therapeutische Benefit bei
Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie sowie bei neurogener sowie nicht-neurogener
Detrusorüberaktivität eindrucksvoll belegt werden. Der Therapieeffekt ist in der Regel
zwischen sechs und neun Monaten nachweisbar, in Einzelfällen auch über mehr als ein Jahr.
Beim nicht-neurogenen Dysfunctional voiding ist die Datenlage limitiert, der therapeutische
Benefit nicht sicher nachgewiesen. Die Therapieergebnisse der Botulinum-Injektion bei der
interstitiellen Zystitis sind widersprüchlich; die postulierte Wirkung von Botulinumtoxinen
auf sensorische Nervenfasern ist nicht experimentell bewiesen und Plazebo-kontrollierte
Studien fehlen. Der Einsatz von Botulinum wird sich aber in der Urologie in Zukunft
sicherlich auf weitere Indikationen bei Blasenentleerungsstörungen unterschiedlicher
Genese ausweiten. Insgesamt hat das Botulinumtoxin die therapeutischen Möglichkeiten
bei der Behandlung der Harnblasenentleerungsstörungen deutlich erweitert.
Verfasser:
Prof. Dr. med. Gerhard Zöller, Urologische Universitätsklinik Göttingen, Robert-Koch-Str.
40, 37075 Göttingen, Tel.: (0551) 392641, Fax: (0551) 392213, E-Mail: gzoeller@med.uni-goettingen.de
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