Hintergrund/Zielsetzung
Testosteronmangel ist bei Männern mit HIV (MLH) weit verbreitet. In solchen Fällen manifestiert er sich aufgrund chronischer Entzündungen
und Immundysregulation oft früher als in der Allgemeinbevölkerung. Aufgrund der antiretroviralen Therapie (ART) ist HIV mittlerweile
eine chronische Erkrankung geworden und die Behandlung nichtinfektiöser Komorbiditäten wie Testosteronmangel (TD) rückt in den Fokus.
Methoden
Der aktuelle Review ist eine aktualisierte Analyse
der Literatur zu Testosteronmangel und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei HIV-Infizierten Männern von 2020 bis 2025.
Testosteron steigert die
Erythropoese, was zu einem höheren Hämatokrit bei Männern im Vergleich zu Frauen führt. Da der Testosteronspiegel mit dem
Alter abnimmt, können bei Männern in der Folge eine geringere
Knochendichte, ein Verlust an Muskelmasse, eine erhöhte Fettansammlung und eine verringerte Erythropoese auftreten, was
zu Anämie führen kann. Im Blutkreislauf ist Testosteron hauptsächlich an Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG) gebunden,
das die Abgabe von Testosteron an das Gewebe moduliert. Die Menge an SHBG und Testosteron ist eng miteinander verbunden.
Bei Männern mit HIV sind die SHBG-Werte im
Vergleich zu Männern ohne HIV erhöht, was die Wichtigkeit der Messung von SHBG zusammen mit einem vollständigen Hormonprofil
unterstreicht, um einen Hypogonadismus bei HIV mit sexuellen Symptomen richtig zu diagnostizieren und zu klassifizieren.
Zusammenhang zwischen Testosteron und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Niedrigere Testosteronspiegel beeinflussen bei Männern das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD).
Sie sind mit einem erhöhten Risiko sowohl für die Gesamtmortalität als auch für die kardiovaskuläre Mortalität
verbunden. Männer mit einem Testosteron-Basisspiegel unter 7,4 nmol/l (213 ng/dl) wiesen ein höheres Risiko für die
Gesamtmortalität auf, und bei Männern mit einem Spiegel unter 5,3 nmol/l (153 ng/dl) wurde ein erhöhtes Risiko für die Mortalität
durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen festgestellt. Darüber hinaus wurde bei Männern mit Testosterondefizit unter Berücksichtigung von Störvariablen
ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und venöse Thromboembolien nach 1 und 5 Jahren festgestellt. Es wird angenommen,
dass Testosteronmangel ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern ist, teilweise aufgrund seines Beitrags zu
einer erhöhten Steifheit der großen Arterien. Diese Arteriensteifigkeit entsteht vermutlich durch erhöhten oxidativen Stress, der
zu einer verringerten Produktion von Stickoxid, einem Abbau von Elastin und einer erhöhten Kollagenablagerung führt. Darüber
hinaus soll Testosteronmangel die Werte von Lipoprotein niedriger Dichte und Gesamtcholesterin erhöhen und das Lipoprotein hoher Dichte senken,
allesamt gut bekannte Risikofaktoren für Arteriosklerose (
Abb. 1).
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Abb. 1: Niedriges Testosteron und HIV haben ähnliche Wirkung auf das Gefäßsystem. Beide Erkrankungen führen zu Gefäßverletzungen
und endothelialer Dysfunktion, die das CVD-Risiko erhöhen und die Bedeutung einer frühen T-Behandlung für
Menschen mit diesen Komorbiditäten unterstreichen.
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HIV-assoziierte Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind ein etabliertes Risiko für Menschen mit HIV
Eine HIV-Infektion erzeugt
nachweislich einen entzündungsfördernden Zustand in den systemischen Gefäßen. Der Entzündungszustand und die Aktivierung
des Immunsystems tragen zu einer veränderten Gefäßbiologie, beschleunigter Atherogenese, Plaquebildung und Plaqueinstabilität bei.
Niedrige
Testosteronspiegel sind mit einem erhöhten Risiko für die Gesamtmortalität und auch mit der kardiovaskulären Mortalität verbunden.
Menschen mit HIV haben ein etwa doppelt so hohes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Menschen ohne HIV, auch bei
effektiver Virussuppression.
Wie wird ein Testosteronmangel diagnostiziert?
Die klinischen Anzeichen und Symptome eines Androgenmangels bei HIV-infizierten Männern mit Hypogonadismus
gleichen denen in der Allgemeinbevölkerung.
Da das Gesamttestosteron aufgrund erhöhter SHBG-Werte normal erscheinen kann, ist es notwendig,
bei Männern mit HIV auch das freie Testosteron zu bestimmen.
Es wird empfohlen, als erste Diagnosetests morgens den Gesamttestosteron- und freien Testosteronspiegel zu messen.
Bei der Laboruntersuchung sollten zusätzlich zu den Gesamt- und freien Testosteronwerten auch Sexualhormon-bindendes Globulin,
luteinisierendes Hormon (LH) und follikelstimulierendes Hormon (FSH) bestimmt werden.
Sowohl die American Urological Association (AUA) als auch die Endocrine Society (ES) empfehlen, dass der Testosteronspiegel bei zwei
verschiedenen Messungen niedrig ist.
Die Grenzwerte für die Definition eines niedrigen Testosteronspiegels unterscheiden sich jedoch zwischen den Leitlinien:
Die AUA-Leitlinie legt den Grenzwert bei weniger als 300 ng/dl fest, während die ES empfiehlt, den vom CDC festgelegten
Standard von 264 ng/dl zu verwenden. Die Darstellung eines Testosteronmangels kann unabhängig vom HIV-Status ähnlich
erscheinen, im Zusammenhang mit HIV erfordert jedoch die Interpretation des Testosteronspiegels eine sorgfältige Berücksichtigung
des klinischen Kontexts.
Testosteronersatztherapie und Therapiemöglichkeiten bei hypogonadalen Männern mit HIV
Ist bei Männern mit HIV ein Testosteronmangel nachgewiesen, sollte eine TRT in Betracht gezogen werden.
Zuvor war in der TRAVERSE-Studie nachgewiesen worden, dass TRT bei Männern mit Hypogonadismus und vorbestehendem
oder hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Bezug auf die Häufigkeit schwerwiegender unerwünschter kardialer Ereignisse
einer Placebo-Kontrolle nicht unterlegen war.
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Tab: Zwei mögliche Indikationen für TRT bei Männern mit HIV. Es ist wichtig, die Notwendigkeit zu erkennen, freies Testosteron
zu messen, da ihr Gesamttestosteron aufgrund erhöhter SHBG-Werte normal erscheinen kann.
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Die Wahl der TRT sollte auf die Bedürfnisse, Präferenzen und den Gesundheitszustand des HIV-Patienten abgestimmt sein.
Die am häufigsten verschriebenen T-Formulierungen sind T-Gele und T-Injektionen.
Testosterongele werden direkt auf die Haut aufgetragen. Sie sorgen für gleichmäßige Freisetzung von Testosteron in den Blutkreislauf
und halten den ganzen Tag über normale Werte aufrecht. Sie sind im Allgemeinen gut verträglich, können jedoch bei einigen Anwendern
leichte Hautreizungen verursachen.
Testosteronundecanoat, eine lang wirkende injizierbare Option, wird nur alle 10 bis 14 Wochen verabreicht und sollte engmaschig kontrolliert
werden.
Kernaussagen
❏ Testosteronmangel ist bei Männern mit HIV weit verbreitet und beeinträchtigt deren Lebensqualität und
langfristigen gesundheitlichen Status erheblich – insbesondere in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
❏ Hypogonadismus und HIV stellen ein potenziell kumulatives Risiko für CVD dar.
❏ Die Behandlung des Testosteronmangels bei Männern mit HIV erfordert unter Berücksichtigung unterschiedlicher
pathophysiologischer Mechanismen, einen differenzierten Ansatz.
❏ Während MLH seine einzigartigen CVD-Risiken hat, wurde die kardiovaskuläre Sicherheit der TRT in jüngsten klinischen Studien
nachgewiesen. Dennoch sind Studien, die die Sicherheit und Wirksamkeit
verschiedener TRT-Formulierungen bei Männern mit HIV bewerten,
insbesondere im Hinblick auf die kardiovaskulären Risiken, unerlässlich.
Literatur:
Garcia M, Londoño V, Martinez C. 2025.
Title: Updates on Testosterone Deficiency in Men Living With HIV and the Cardiovascular Implications.
Current Infectious Disease Reports (2025) 27:3, doi.org/10.1007/s11908-024-00851-x