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Botulinumtoxin in den Detrusor vesikae als simultane Maßnahme bei TUR-Prostata
Die simultane Botulinumtoxininjektion in den Detrusor vesikae im Rahmen einer TUR-Prostata ist eine gute Option für Patienten mit führender Drangsymptomatik und wird im therapeutischen Konzept der LUTS-Behandlung zukünftig wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen.

Botulinumtoxin ist seit vielen Jahren fester Bestandteil in der Therapie der isolierten Dranginkontinenz. Bei Patienten mit LUTS und Indikation zur trans-urethralen Resektion und begleitender Drangsymptomatik kann eine simultane Botulinumtoxininjektion erwogen werden.


Wirkungsmechanismus Botulinumtoxin und Datenlage

    Der Wirkungsmechanismus von Botulinumtoxin ist an der quergestreiften Muskulatur gut untersucht und inzwischen bei der neurogenen und idiopathischen Blasenhyperaktivität zugelassen. Botulinumtoxin verhindert an der motorischen Endplatte die Freisetzung von Acetylcholin und verursacht dadurch eine reversible Chemodenervation [1]. Botulinumtoxin hemmt jedoch nicht nur die Neurotransmitterfreisetzung von afferenten Nervenendigungen an der Skelettmuskulatur, sondern wirkt auch an der glatten Muskulatur neuroglandulär und vermag die afferenten Nervenendigungen in der Blase zu blockieren [2]. Indikationen zur Anwendung von Botulinumtoxin in den Detrusor sind die therapieresistente hyperaktive Harnblase mit urodynamisch nachgewiesener Detrusorhyperaktivität mit oder ohne Begleitinkontinenz, die therapieresistente hypersensitive hypokapazitäre Harnblase mit persistierendem hyperaktivem Dranggefühl, Pollakisurie oder Nykturie, nicht tolerierbare Anticholinergika-bedingte Nebenwirkungen wie Xerostomie, Obstipation, Nausea, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche sowie Kontraindikationen einer anticholinergen Therapie. Typischerweise erfolgt die Injektion von Botulinumtoxin an 20-30 Lokalisationen in den Detrusor (Abb. 1). Die Wirksamkeit von Botulinumtoxin ist sowohl für die neurogene als auch idiopathische hyperaktive Blase anhand mehrerer klinischer Studien sowie doppelblinder placebokontrollierter randomisierter Studien belegt [3]. Bei 88% der Probanden konnte eine statistisch signifikante Besserung der Blasenfunktion hinsichtlich subjektiver Symptome und urodynamischer Parameter beobachtet werden. Innerhalb von 1-2 Wochen nach Botulinumtoxininjektion verschwand die Drangsymptomatik bei 82% der Patienten vollständig und bei 86% die Inkontinenz. Die Wirkdauer von Botulinumtoxin bei der hyperaktiven Blase wird in der Literatur mit 3 bis >9 Monaten angegeben [4]. In der klinischen Praxis scheint die Wirkung bei der idiopatischen hyperaktiven Blase deutlich länger anzuhalten mit dadurch bedingter geringer Re-Injektionsrate. Einem Großteil der Patienten mit idiopathischer hyperaktiver Blase kann mit einer einzigen Botulinumtoxintherapie (Abb. 2) mittelfristig geholfen werden.



Botulinumtoxin als simultane Therapie
    In unserer Klinik wird seit drei Jahren auch die simultane Therapie per Botulinumtoxin bei verschiedenen Erkrankungsbildern durchgeführt (bisherige Erfahrung >400 Botulinumtoxininjektionen). Wir sind eine der ersten Kliniken in Deutschland, die eine simultane Therapie von Botulinumtoxin mit der roboterassistierten radikalen Prostatektomie bei ausgeprägter Dranginkontinenz und hypokapazitärer Blase durchführen. Eine weitere Indikation für simultane Therapie mit Botulinumtoxin ist die Mischharninkontinenz (TOT-Band und die Botulinumtoxintherapie). Seit drei Jahren führen wir eine simultane Botulinumtoxintherapie der transurethralen Resektion der Prostata durch.

    Zur Genese einer obstruktionsbedingten Detrusorinstabilität werden in erster Linie neuronale Veränderungen auf Detrusorebene im Sinne einer Denervierungs-Hypersensitivität bei Verminderung der cholinergen Neurofasern sowie myogene Ursachen diskutiert. Bei urodynamisch funktionellen Untersuchungen von Patienten mit benigner Prostatahyperplasie lassen sich prinzipiell drei voneinander unabhängige Hauptbefunde abgrenzen: Obstruktion, Detrusor-insuffizienz und Detrusorinstabilität, die in unterschiedlicher Kombination nachweisbar sein können. Pollakis-urie, imperativer Harndrang, Urgeinkontinenz und Nykturie wurden als irritative Speichersymptome mit einer früh auftretenden Detrusor-irritation in Folge infravesikaler Ob-struktion in Zusammenhang gebracht. Eine Assoziation irritativer Miktionsbeschwerden mit dem Auftreten einer urodynamisch nachweisbaren Detrusorinstabilität wurde in zahlreichen Studien beschrieben [5]. Einige Autoren fanden heraus, dass eine signifikante Korrelation zwischen Pollakisurie, imperativem Harndrang und Dranginkontinenz mit dem Nachweis einer Detrusorinstabilität besteht [6]. Untersucht wurde der Zusammenhang zwischen Detrusorinstabilität und infravesikaler Obstruktion. Die Autoren konnten Detrusorinstabilitäten bei 31 von 72 (43%) nicht-obstruktiven sowie bei 72 von 139 (52%) obstruktiven Patienten nachweisen [6]. Das bestätigt, dass die Inzidenz einer Detrusor-instabilität als potentielle aber nicht alleinige Ursache von Speichersymptomen bei infravesikaler Obstruktion erhöht ist. Zweifellos kann das Vorliegen einer infravesikalen Obstruktion die Ursache einer Detrusorinstabilität sein. In unterschiedlichen Studien ließ sich die präoperative Inzidenz von Detrusorinstabilitäten von 62 vs. 69% nach Beseitigung einer infravesikalen Obstruktion durch transurethrale Resektion auf 35 bzw. 31% reduzieren [6, 7]. Dennoch scheint die Beseitigung einer Obstruktion per se nicht der alleinige Grund für die Beseitigung von Detrusorinstabilitäten zu sein. Auch in unserem Patientenkollektiv persistieren irritative Miktionsbeschwerden bis zu einem Jahr nach erfolgreich deob-struierender transurethraler Resektion. Aus diesem Grund kann bei Patienten mit einer derartigen Befundkonstellation vor der transurethralen Resektion der Prostata eine simultane Therapie durch Botulinumtoxininjektion in den Detrusor vesikae durchgeführt werden. Unsere Ergebnisse nach ca. 40 derartigen simultanen Injektionen zeigen, dass die Patienten von dieser Therapie profitieren und die irritativen Miktionsbeschwerden beginnend zehn Tage nach dem Eingriff abnehmen.

    Die Patienten sind auf einen möglichen katheterpflichtigen Harnverhalt oder symptomatische hohe Restharnbildung aufzuklären. Bei präoperativen Restharnmengen von mehr als 100 ml führen wir keine simultane Therapie durch.

    Angesichts der schwierigen Differenzierung der Genese der Detrusorinstabilitäten gewinnen funktionskorrelierte morphologische Untersuchungen am Detrusor zunehmend an Bedeutung. Außerdem ist ein biologischer Alterungsprozess des Detrusors als Ursache funktioneller Veränderungen im Sinne einer Instabilität bei Patienten mit LUTS wahrscheinlich.

    Im klinischen Alltag stellt die simultane Anwendung von Botulinumtoxin eine wirtschaftliche Herausforderung dar, weil in diesem Setting keine zusätzlichen DRG-Einnahmen generiert werden können.

Verfasser: PD Dr. med. Vahudin Zugor und Dr. med. Jörg Zinke. Klinik für Urologie, Kinderurologie und Urologische Onkologie, Prostatazentrum Nordwest, St. Antonius-Hospital, Akademisches Lehrkrankenhaus der WWU Münster, Chefarzt Dr. med. Jörn H. Witt, Möllenweg 22, 48599 Gronau.

Literatur:
[1] De Paiva A, Meunier FA, Molgó J, Aoki KR, Dolly JO. 1999. Functional repair of motor endplates after botulinum neurotoxin type A poisoning: biphasic switch of synaptic activity between nerve sprouts and their parent terminals. Proc Natl Acad Sci U.S.A. 96:3200-3205.
[2] Whelchel DD, Brehmer TM, Brooks PM, et al. 2004. Molecular targets of botulinum toxin at the mammalian neuromuscular junction. Mov Disord 19 Suppl 8:S7-S16.
[3] Schmid DM, Sauermann P, Werner M, et al. 2006. Experience with 100 cases treated with botulinum-A toxin injections in the detrusor muscle for idiopathic overactive bladder syndrome refractory to anticholinergics. J Urol 176:177-185.
[4] Hirst GR, Watkins AJ, Guerrero K, et al. 2007. Botulinum toxin B is not an effective treatment of refractory overactive bladder Urology 69:69-73.
[5] Abrams PH, Dunn M, George N. 1978. Urodynamic findings in chronic retention of urine and their relevance to results of surgery. Br Med J 2:1258-1260.
[6] Abrams P, Blaivas JG, Stanton SL, et al. 1986. Sixth report on the standardisation of terminology of lower urinary tract function. Procedures related to neurophysiological investigations: electromyography, nerve conduction studies, reflex latencies, evoked potentials and sensory testing. The International Continence Society Committee on Standardisation of Terminology, New York, May 1985. Scand J Urol Nephrol 20:161-164.
[7] Andersen JT, Nordling J. 1980. Prostatism. II. The correlation between cysto-urethroscopic, cystometric and urodynamic findings. Scand J Urol Nephrol 14:23-27.
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