Kaum eine Technologie hat die operative Medizin in den letzten 20 Jahren
derart verändert wie die Roboterchirurgie. Komplexe chirurgische Eingriffe wie die radikale
Prostatektomie, die partielle Nephrektomie oder die Zystektomie, die vor 25 Jahren ausschließlich
offen durchgeführt wurden und vor 15 Jahren in einem kleineren Anteil auch laparoskopisch
durchgeführt wurden, werden heute überwiegend oder ausschließlich roboterassistiert erbracht.
In Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern der prozentuale Anteil von
roboterassistierten Eingriffen deutlich niedriger. Was sind die Gründe hierfür?
Im Marktanteil der roboterassistieren Eingriffe europaweit fällt auf, dass in vielen
Ländern sowohl für die roboterassistierte radikale Prostatektomie (Abb. 1) als auch für
die partielle Nephrektomie (Abb. 2) die Standardvorgehensweise war. Deutschland und
Frankreich hinken in den Marktanteilen für die roboterassistierte Chirurgie deutlich
hinterher. Wie ist es zu erklären, dass in Deutschland nur 22% der partiellen
Nephrektomien roboterassistiert durchgeführt werden aber in England mit deutlich
weniger Ressourcen im Gesundheitssystem bereits fast 80% der Eingriffe mittels
Robotertechnik erfolgen? Die Vermutung englische Chirurgen seien weniger begabt
als Deutsche und benötigen deswegen eine Roboter-assistenz erscheint ebenso wenig
glaubhaft, wie geschickte Marketingstrategien der Firma Intuitive oder der zwingende
Patientenwunsch in einem schlecht finanziell ausgestatteten Gesundheitssystem wie England.
Eine Frage des Werkzeugs
Die Gründe für ein gutes operatives Ergebnis lassen sich auf zwei wesentliche Faktoren reduzieren:
1. das Werkzeug und 2. der Handwerker. Das die Robotertechnik im Vergleich zur offenen Chirurgie
oder zur Laparoskopie das bessere Werkzeug darstellt, kann im Jahre 2018 ebenso wenig negiert
werden wie die Erkenntnis, dass die Beherrschung des Werkzeugs durch den Chirurgen für ein
gutes Ergebnis essentiell ist. Genau dies ist auch der Grund warum sich ein gutes Werkzeug
durchsetzt unabhängig von den entstehenden Kosten. Hierfür bedarf es keiner randomisierten
Studien, jeder Heimwerker weiß nach 30 Sekunden, dass sich eine Kreuz-Schlitzschraube
einem entsprechenden Schraubendreher viel besser platzieren lässt als mit einem
herkömmlichen Schraubendreher.
Entgeltsysteme entscheiden
Bei der anzunehmenden gleichartigen Begabung der chirurgisch tätigen Ärzte in
den verschiedenen Ländern muss es offensichtlich andere Gründe für die unterschiedliche
Marktdurchdringung der Roboterchirurgie geben. Wie kann es also sein, dass in einem
vergleichsweise gut finanziell ausgestatteten Land wie Deutschland der Anteil der
Roboterchirurgie deutlich niedriger ist als in England wo der prozentuale Anteil des
Bruttoinlandsproduktes für Gesundheitsausgaben deutlich niedriger ist? Die Antwort ist
schnell gefunden. In den verschieden Ländern gibt es unterschiedliche Entgeltsysteme
sowohl für die Investition von Technologie als auch für Bezahlung von Prozeduren. In
Ländern in denen ein differenziertes Entgeltsystem mit einem Split zwischen offener
Chirurgie und roboterassistierter Chirurgie gibt, mit einem höheren Entgelt für die
roboterassistierten Eingriffe liegt der Marktanteil deutlich höher. Deutschland hinkt
hier unverständlicherweise hinterher. Bisherige Versuche das Entgeltsystem entsprechend
anzupassen und ein differenziertes Entgeltsystem zu implementieren sind sowohl von
Seiten der Deutschen Gesellschaft für Urologie als auch von der Deutschen Gesellschaft
für Roboterassistierte Urologie gescheitert.
Ist die Politik gefragt?
Grundsätzlich ja. Zunächst wäre es sinnvoll von Seiten der Fachgesellschaften
hier noch stärkere Akzente zu setzen. Der nicht vorhandene Zugang zur roboterassistierten
Technik führt unverändert zu teilweise nachvollziehbaren aber inhaltlich nicht
zutreffenden Argumentationsketten. Vielfach lässt sich beobachten, dass derjenige,
der keinen Zugang zu der aktuellen Technik hat, vehement dagegen argumentiert, während
die Bestrebungen zur Erlangung dieser Technik hinter den Kulissen allgemein bekannt
sind. Mit dem Erwerb der Technik tritt dann eine völlige Umkehr der Argumentation
ein und der frühere Gegner wird zu einem glühenden Verfechter. Hier gilt die alte
Erkenntnis von Arthur Schopenhauer: „Eine neue Idee wird zunächst belächelt, dann
bekämpft und mit der Zeit ist sie dann normal“.
Schlussfolgerung
Die bestehende Situation lässt befürchten, dass sich in den nächsten 10 Jahren in
Deutschland an der Entgeltsituation wenig ändern wird und daher Deutschland im
internationalen Vergleich ein Entwicklungsland in der Umsetzung der modernen operativen
Medizin bleibt. Wünschenswert wäre, wenn die Deutsche Gesellschaft für Urologie aktiv auf
die Politik, Krankenversicherungen und InEK einwirkt um ein Entgeltsystem wie in anderen
Ländern umzusetzen und somit auch die zeitgemäße Technik den Patienten zugänglich zu machen.
Die Deutsche Gesellschaft für Roboterassistierte Urologie und der Arbeitskreis Laparoskopie
und roboterassistierte Chirurgie der DGU könnten dann bei der Ausbildung der operativ
tätigen Urologen mitwirken um diese Technik breit zu etablieren. Positiv auf Entwicklungen
kann sich auch das zunehmende Interesse anderer Fachgesellschaften insbesondere auch der
Allgemeinchirurgie auswirken. Das sehr große Interesse der Allgemeinchirurgie an der
Robotertechnik in den letzten Jahren kann wesentlich dazu beitragen die Technik in breiter
Form endlich auch in Deutschland zu etablieren.
Verfasser: Dr. med. Jörn H. Witt, Chefarzt der Klinik für Urologie, Kinderurologie und
Urologische Onkologie, Prostatazentrum Nordwest, EBU Certified Training and Sub-speciality Centre,
St. Antonius-Hospital, Akademisches Lehrkrankenhaus der WWU Münster, Möllenweg 22, 48599 Gronau
Bestandsaufnahme
Roboterchirurgie in verschiedenen Ländern
Eine ähnliche Situation findet sich in Frankreich, allerdings lässt sich hier
feststellen, dass das Entgelt für die roboterassistierten Eingriffe deutlich niedriger
ist als in Deutschland, der Marktanteil aber vergleichbar oder wie bei der partiellen
Nephrektomie sogar deutlich höher ist als in Deutschland.
Auf der anderen Seite ist die Gesundheitspolitik gefragt regulierend einzugreifen.
Bestrebungen für eine tatsächliche Verbesserung im Gesundheitssystem lassen sich allerdings
in dem aktuellen Koalitionsvertrag nicht erkennen. Hier ist leider zu erwarten,
dass in den nächsten vier Jahren eine Fortsetzung der Verwaltungspolitik der Vergangenheit
zu erwarten ist. Notwendige Maßnahmen wie die Förderung von Zentrenbildung, die
bessere Bezahlung von Ausbildungs- und Qualitätsmaßnahmen sowie eine entsprechende
Investitionsförderung an den entsprechenden Zentren lassen sich nicht erkennen und
sind zweifelsfrei nicht zu erwarten.
Februar 2018
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