Zusammenhang zwischen Hypospadie und pränataler Exposition mit endogenen Disruptoren?

  Die Häufung von Hypospadiefällen in bestimmten Regionen oder zu bestimmten Zeitabschnitten hat die Befürchtung genährt, dass die männliche Genitalentwicklung durch Exposition mit Umweltchemikalien während der Fetalzeit Schaden nehmen kann. Diesbezügliche Ergebnisse aus zahlreichen Studien lassen bislang jedoch keine definitive Aussage bezüglich eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen endokrin disruptiven Chemikalien (EDC) und Hypospadie zu. Aufgrund der Komplexität der Materie bedarf es stringenter epidemiologischer Untersuchungen. In einer aktuellen Studie wurden systematische Fehlerquellen durch prospektive Rekrutierung einer homogenen Kohorte Jungen mit isolierter Hypospadie ohne Mikropenis oder Kryptorchismus, den Ausschluss familiärer Formen, die Einbeziehung einer repräsentativen Kontrollgruppe urologisch untersuchter Jungen und ohne Beschränkung auf bestimmte EDC möglichst weitgehend eliminiert.

  Die Rolle der beruflichen und umweltbedingten Exposition mit EDC für das Auftreten nicht genetischer isolierter Hypospadie sollte ermittelt werden (Kalfa N, et al. 2015):

  In die prospektive Studie wurden zwischen 2009 und 2014 Jungen mit isolierter Hypospadie (n=300) und Jungen ohne Hypospadie (n=302) verglichen. Die multizentrische Zusammenarbeit fand in Südfrankreich statt – dem Landesteil mit der höchsten Rate an Hypospadie-Operationen. Die berufliche Exposition der Eltern mit EDC wurde anhand des vom Chirurgen ausgefüllten vereinfachten europäischen Fragebogens [QLK4-1999-01422] und einer validierten Job-Exposure-Matrix ermittelt.

  In Schwangerschaften, die zur Geburt eines Sohnes mit Hypospadie führte, waren die Feten deutlich häufiger mit EDC konfrontiert als diejenigen bei den normal entwickelten Jungen (40,0% vs. 17,6%). Die Exposition hatte mit Farbstoffen/ Lösungsmitteln/ Klebstoffen (16%), Detergentien (11%), Pestiziden (9%), Kosmetika (3,6%) und anderen industriellen Chemikalien (darunter Metalle, polyzyklische Kohlenwasserstoffe und Herbizide (0,7%) stattgefunden. In 78% der Fälle war die Exposition etwa zum Zeitfenster der genitalen Differenzierung erfolgt.

Die Exposition mit EDC während der Schwangerschaft war bei Müttern von Jungen mit Hypospadie deutlich häufiger erfolgt als bei Muttern mit Söhnen ohne Hypospadie (19,7% vs. 10,3%; p=0,002). Erstere Schwangere hatten als Reinigungskräfte, Friseusen, Kosmetikerinnen und Laborangestellte gearbeitet. Auch die Väter von Söhnen mit Hypospadie hatten um den Zeitpunkt der Fertilisation beruflich gehäuft Kontakt mit EDC. Sie arbeiteten häufig in der Landwirtschaft, als Labortechniker, in der Haushaltsreinigung, als Mechaniker oder Anstreicher (abnehmende Häufigkeit).

Das Risiko der Belastung durch Umwelteinflüsse war bei Müttern von Jungen mit Hypospadie deutlich stärker ausgeprägt als bei den Müttern von normal entwickelten Jungen. In der Umgebung (Radius: 3 km) ersterer befanden sich signifikant häufiger Industriegebiete, Verbrennungsöfen, und Mülldeponien (13,3% vs. 6,6%). Auch landwirtschaftlich genutzte Flächen in 3 km Entfernung waren bei den Müttern der Hypospadie-Fälle deutlich häufiger als bei den Kontrollmüttern (bei Ausschluss landwirtschaftlich tätiger Frauen: 19,4% vs. 15,8%; p=0,014).

Ferner ergab die Analyse, dass die berufliche plus umweltbedingte Exposition mit EDC ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Hypospadie darstellt.

Die Studie liefert eindeutige Hinweise darauf, dass die berufliche oder umweltbedingte Exposition schwangerer Frauen mit endokrinen Disruptoren ein Risikofaktor für Hypospadie ist.
  Ferner birgt auch die Exposition des Vaters mit endokrin disruptiven Chemikalien um den Zeitpunkt der Fertilisation ein – wenn auch deutlich schwächeres – Hypospadierisiko für Jungen.


Kalfa N, Paris F, Philbert P, et al. 2015. Is hypospadias associated with prenatal exposure to endocrine disruptors? A French collaborative controlled study of a cohort of 300 consecutive children without genetic defect. Eur Urol [Epub ahead of print].

 Juni  2015

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Referat: jfs