Pathophysiologische Mechanismen bei Patienten mit nächtlicher Polyurie

  Nächtliche Polyurie (NP) ist bei Erwachsenen eine wesentliche Ursache für Nykturie. Die Diagnose der NP kann anhand eines Blasentagebuchs gestellt werden. Durch Hinzuziehen eines Nierenfunktionsprofils, mit dem die Kapazität zur Konzentration des Urins und die Fähigkeit, gelöste Substanzen (Solute) zurückzuhalten, analysiert wird, lässt sich die Pathophysiologie der NP beim einzelnen Patienten spezifizieren. Das ermöglicht unter Umständen eine individuelle Behandlung.

  Der zirkadiane Rhythmus für die Wasserdialyse und die Solutdialyse (Dialyse gelöster Substanzen) wurde bei Patienten mit und ohne NP bestimmt (Goessaert A-S, et al. 2015):

  Die rekrutierten 112 Patienten (mittleres Alter 57 [18–85] Jahre; 59% Männer) führten ein 72-h-Blasentagebuch, anhand dessen sie einer Gruppe mit NP (n=77) oder einer Referenzgruppe ohne NP (n=35) zugeordnet wurden. Die Kategorisierung erfolgte nach einer modifizierten NP-Definition der International Continence Society (ICS). Danach hatten NP-Patienten bis zum Alter von 35 Jahren einen NP-Index (nächtliches/24h-Urinvolumen) >20%, im Alter von 36 bis 64 Jahren einen NP-Index zwischen 20% und 33% und jene ab 65 Jahren einen NP-Index >33%. Das Nierenfunktionsprofil wurde aus einer 24-h-Harnanalyse mit acht im Drei-Stunden-Abstand gesammelten Urinproben (U1 bis U8) separat für die Diureserate, die Osmolalität sowie die Natrium- und Harnstoffkonzentrationen erstellt.

  Der Vergleich zwischen Referenz- und NP-Gruppe ergab signifikante Unterschiede zur Nachtzeit. Nur bei ersteren sank die Diureserate während der Schlafenszeit signifikant ab. Früh in der Nacht (U6: 12-2 h) wurde bei den NP-Patienten eine gegenüber denen der Referenzgruppe deutlich höhere freie Wasserclearance (FWC) und eine niedrigere Osmolalität ermittelt. Die Natrium-Clearance blieb bei den NP-Patienten in der Nacht anhaltend hoch. Keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen zeigte die Harnstoff-Clearance.

Zur Unterscheidung zwischen Patienten mit und ohne NP anhand pathophysiologischer Charakteristika wurden Receiver Operating Characteristics (ROC)-Analysen durchgeführt. Als Cut­off-Werte für FWC und Natrium-Clearance dienten die charakteristischen Proben zur Nachtzeit (FWC [U6]: -0,85 ml/min; Na+-Clearance [U7]: 0,65 ml/min). Hierbei ergab die area under curve (AUC) für die FWC von 65% und für die Natrium-Clearance 72%. Während in der NP-Gruppe nur auf 12% der Patienten keine der pathophysiologischen Mechanismen zutraf, waren es in der Referenzgruppe 43% (Abb. A).

Zum Vergleich diente eine Definition für NP, die auf einer nächtlichen Urinproduktion >90 ml basiert. Hierbei ergab die ROC-Analyse bei 76 Patienten keine NP und bei 36 das Vorliegen einer NP. Die AUC betrug für die FWC (U6: 12-2) 64% bei einem Cut­off-Wert von -0,65 ml/min. Für die nächtliche Natrium-Clearance (U7: 3-5 h) betrug die AUC bei einem Cutoff-Wert von 0,77 ml/min 67%. Anhand der Cutoff-Werte wurde NP in 34% der Fälle der FWC allein, in 23% der Fälle allein der Natrium-Clearance und in 37% der Kombination beider zugeschrieben (Abb. B).

Nächtlicher Polyurie liegt entweder eine Wasserdiurese, eine Natriumdiurese oder vielfach auch eine Mischform beider Mechanismen zugrunde.
  Die Wasserdiurese wird durch die freie Wasserclearance und die niedrige Osmolalität bei Nacht charakterisiert, während die erhöhte Natrium-Clearance als treibende Kraft der Solutdiurese fungiert.


Goessaert A-S, Krott L, Hoebeke P, et al. 2015. Diagnosing the pathophysiologic mechanisms of nocturnal polyuria. Eur Urol 67:283-288.


 April 2015

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Referat: jfs