In den letzten 50 Jahren erschienen mehr als 100 Artikel (peer reviewed), die sich mit dem angeblichen
Rückgang der Spermienzahl bei Männern befassen. Anhand der wissenschaftlichen Datenlage kommt ein New Yorker Urologe
in einer kritischen Analyse aber zu einem ganz anderen Ergebnis (Fisch H, 2008):
Eine breite Diskussion wurde 1992 durch einen Artikel mit einer Metaanalyse aus 61 Arbeiten
von Carlsen et al. (1992, BMJ 303:609-613) ausgelöst. Elisabeth Carlsen und ihre Mitarbeiter errechneten einen
nahezu 50 %igen Rückgang der Spermienzahl innerhalb der 50 Jahre von 1940 bis 1990.
Als "Sündenbock" hierfür machten sie endokrine Disruptoren aus. Umwelt-Aktivisten
haben dieser Arbeit zu einer Popularität verholfen, die in keinem Verhältnis zu den Tatsachen
steht. Wie schon einige Kritiker vor ihm, lässt Fisch kein gutes "Haar" an der Analyse.
Design und Auswertung mangelhaft
Es wurden in der Carlsen-Analyse Studien mit unterschiedlichen Formen der Spermagewinnung und unterschiedlichen
Bestimmungsmethoden eingeschlossen, aber Nikotinabusus nicht berücksichtigt – ebenso wenig
wie geographische Variationen. Von vor 1979 stammten in der
Carlsen-Arbeit alle Daten aus den USA – 80 % davon aus New York. Aus der Zeit danach kamen die
meisten Daten aus so genannten Drittweltländern, in denen die Spermienzahlen niedrig waren. Wird allein
den geographischen Variation Rechnung getragen, zeigt die Reanalyse
der Studien keinen Rückgang mehr (Abb.). Zudem stuft Fisch das verwendete
statistische Modell als "unpassend" ein und betont, dass die Analyse angesichts der vielen Schwächen
in keiner Übersichtsarbeit auch nur erwähnt werden sollte.
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Bei einer Reanalyse der Daten von Carlsen et al. ergab sich keine sinkende Spermienzahl (grüne Regressionslinie),
wenn Daten aus New York ausgeschlossen wurden. Die Größe der Ringe stellt die Anzahl beteiligter Männer in einer Studie dar
(nach Saidi J, et al. 1999. J Urol 161:460–462).
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Einen positiven Effekt hatte die "Carlsen-Studie" aber doch. Sie war der Impetus für 31 größere Arbeiten,
in denen die trendmäßige Entwicklung der Samenqualität untersucht wurde. Sechs davon weisen einen klaren
Rückgang der Samenqualität in einem definierten Gebiet aus, 16 andere keinen Abfall und fünf Arbeiten
kamen zu uneinheitlichen Resultaten.
Neue Studien: Auch nicht ohne Schwächen
Mit der höchsten Personenzahl kann die "Kontra-Seite" aufwarten: Die 16 Studien, die keinen
Rückgang oder sogar einen leichten Anstieg in der Spermiendichte fanden, basieren auf Daten
von 103.313 Männern – und damit dem Zehnfachen der Arbeiten mit einem Rückgang. Diese sechs
Untersuchungen, bei denen eine Abnahme von Absolutzahl oder aber Dichte zwischen 16 und 31,5%
publiziert ist, umfassen nur 9.215 Männer.
Obwohl die Autoren bestmöglich die verschiedenen Einflussfaktoren berücksichtigt und adäquate
statistische Methoden eingesetzt haben, sind auch diese Studien nicht ganz ohne Schwächen:
Allen gemeinsam ist, dass die Studienteilnehmer eben nicht "Otto Normalverbraucher" waren,
sondern Samenproben aus den unterschiedlichsten medizinischen Gründen untersucht wurden
(Samenspender, Sterilitäts-Patienten, Vasektomie-Kandidaten).
Trotzdem lassen die dabei gewonnenen Daten für Fisch den Rückschluss zu, dass kein weltweiter
"Abwärtstrend" vorliegt – ein solcher wäre sicherlich klar zutage getreten. Damit ist auch einer
Korrelation mit ursächlichen Umweltnoxen der Boden entzogen.
Geographische Unterschiede bleiben ungeklärt
Unleugbare Zeugnisse existieren laut Fisch für die Tatsache, dass geographische Unterschiede
in der Samenqualität bestehen - nicht nur in Europa, wo die Dänen deutlich schlechter abschneiden
als die Finnen. Auch in den USA trennen die männlichen Einwohner Kaliforniens und New Yorks in
dieser Hinsicht "Welten". Die Ursachen für die regionalen Variationen sind unklar. Bisher konnte
keine bestimmte Noxe dingfest gemacht werden, obwohl ländliche Regionen und Städte oder auch
Regionen mit hoher und niedriger Umweltbelastung verglichen wurden.
Die widersprüchlichen Daten zum zeitlichen Verlauf in bestimmten Gegenden sind ebenfalls nur
schwer zu interpretieren: Wie kommt es, dass Männer in der Nähe von Paris einen Abfall der Werte
aufweisen, während dies bei Toulouse nicht der Fall ist? Zu ähnlich widersprüchlichen Ergebnissen
kam es selbst im kleinen Staat Dänemark.
Adipositas als Einflussfaktor
Einen möglichen Ansatz sieht der Urologe in einem Faktor, der bisher in allen Studien unberücksichtigt
blieb: Dem epidemisch zunehmenden Übergewicht. Aus den Industrienationen ist bekannt, dass die
Testosteronspiegel bei adipösen Männern, bei Diabetikern und Männern mit metabolischem Syndrom
erniedrigt sind, was wiederum Auswirkungen auf die Fertilität haben dürfte. Womit sich dann der Kreis
schließt und Untersuchungen zum Rückgang der Samenqualität weiterhin lohnend erscheinen lassen.
Die weltweit sinkende Samenqualität ist nichts weiter als ein publikumswirksamer
Mythos, entstanden auf der Basis von Studien mit gravierenden Mängeln.
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Verfechter der Theorie,
wonach der Rückgang der Spermienzahlen durch endokrine Disruptoren bedingt sei, bauen ihre Argumente
auf Sand. Zu dieser klaren Aussage kommt Fisch aufgrund seiner
Reevaluierung der wissenschaftlichen Datenlage.
Drei Gründe haben ihn zu dieser Bestandsaufnahme veranlasst:
Die Auswirkungen eines echten Rückgangs wären bevölkerungspolitisch und medizinisch relevant.
Regierungen haben teilweise bereits Programme gegen verdächtige endokrine Disruptoren initiiert.
Bevölkerung, aber auch Fachkreise sind falsch informiert über die Fakten zur Samenqualität.
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