Als vor mehr als 60 Jahren die Androgenabhängigkeit des Prostatakarzinoms erkannt worden war,
erwies sich neben der Orchiektomie auch die Gabe der östrogen wirkenden Substanz
Diäthylstilböstrol als therapeutisch wirksam. Hierbei traten jedoch erhebliche Nebenwirkungen auf,
so daß diese Therapieform seit der Entwicklung effektiver LHRH-Analoga als obsolet gilt.
Neueren Erkenntnissen zufolge beruht die inhibierende Wirkung der Östrogene
auf das Wachstum von Prostatakarzinomen nicht allein auf der Androgen-Suppression.
Vielmehr gibt es Befunde, wonach Östrogene direkt über Östrogenrezeptoren (ER)
zytotoxisch auf Prostatakarzinomzellen wirken.
Nachdem heute zwei ER bekannt sind, eröffnet sich unter Umständen die
Möglichkeit, selektiver als mit Diäthylstilböstrol behandeln zu können. Um eine
diesbezügliche Option auszuloten, wurde in Prostatakarzinom-Metastasen
immunhistochemisch nach ER-b gefahndet
(Lai JS, et al. 2004):
ER-b-Expression in
sämtlichen ossären und nicht-ossären Metastasen
Verschiedene Prostatakarzinom-Metastasen (Lymphknoten, Leber, Lunge, Peritoneum)
von 20 verstorbenen Patienten wurden
mittels eines Anti-ER-b-Antikörpers
immunhistochemisch untersucht. In etwa der Hälfte ossärer und 80 % nicht-ossärer
Metastasen wurde eine intensive Immunoreaktivität in 50 % oder mehr der
Tumorzellen registriert. Allerdings wurde eine hohe interindividuelle Variabilität
bezüglich des Anteils immunoreaktiver Zellen verzeichnet. Ebenso waren verschiedene
Proben ein und desselben Patienten teilweise unterschiedlich reaktiv.
Renaissance der Östrogentherapie bei metastasiertem Prostatakrebs?
Die Behandlung des Androgen-unabhängigen Prostatakarzinoms stellt trotz jüngster
Erfolge mit einer Taxan-basierten Chemotherapie weiterhin Probleme dar. Daher werden
bei der Suche nach neuen Therapieformen auch wieder Östrogene in Betracht gezogen.
So wurde bereits angeregt, die Therapie mit Diäthylstilböstrol als
Ergänzung der Androgendeprivation nochmals zu überdenken. Mit einer niedrigen Dosierung
ließen sich möglicherweise Effekte erzielen, ohne übergebührliche Nebenwirkungen in
Kauf nehmen zu müssen.
Seit der Entdeckung, daß die Metastasen des Prostatakarzinoms
in hohem Maße den ER-b exprimieren, werden allerdings
sogenannte selektive Östrogenrezeptor-Modulatoren (SERM) als mögliche Therapeutika
favorisiert. Diese könnten auf Prostatakarzinom-Metastasen einwirken, ohne daß
unerwünschte Effekte über den ER-ER-a in
Kauf genommen werden müssen. Zunächst sollte jedoch untersucht werden, welche Art von
Wirkungen an den Metastasen über die ER-b
ausgeübt werden.
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