März 2005 
 

Geschlechterverteilung bei Geburten in Kalifornien nach Anschlägen vom 11. September


Weltbewegende, erschütternde Ereignisse wie Naturkatastrophen und Unheil aus Menschenhand beeinflussen die sogenannte sekundäre Geschlechterverteilung. Zumeist sinkt dann der prozentuale Anteil der Jungen an den Lebendgeburten einer bestimmten Zeitspanne. Auch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington war in den USA ein anteilmäßiger Rückgang der Geburten von Jungen erwartet worden. Diesbezügliche Untersuchungen in Kalifornien sollten zugleich zwei Hypothesen überprüfen: Die schrecklichen Ereignisse könnten einerseits dazu geführt haben, daß mehr männliche als weibliche Embryos bzw. Feten in utero starben und andererseits könnten in den Folgemonaten weniger Jungen wie üblich gezeugt worden sein (Catalano R, et al. 2005):

Nach Katastrophen jeder Art und auch in Zeiten einer Wirtschaftsdepression verringert sich die Wahrscheinlichkeit, daß schwangere Frauen lebensfähigen männlichen Nachwuchs zur Welt bringen. Dies läßt sich anhand der Geburtenregister mehrerer Länder eindeutig belegen. Aus Sicht der sekundären Geschlechterverteilung ist Krieg aber offenbar kein sonderliches Unglück, denn dann steigt vielfach der Anteil an männlichen Neugeborenen.
Erstaunlicherweise wurden auch in Deutschland kurz nach dem Mauerfall in den jetzigen neuen Bundesländern prozentual zu wenige Jungen geboren. Das Berlin-Institut für Weltbevölkerung – von dem die Zahlen stammen – erklärt dies mit der erhöhten psychischen Belastung der Menschen in dieser Zeit des Wandels.

Gefährden erhöhte mütterliche Glukokortikoid-Spiegel insbesondere männliche Feten?
Im Oktober und November 2001 war in Kalifornien der Anteil männlicher Feten an spontanen Aborten nach der 20. Schwangerschaftswoche seit Beginn einer sechsjährigen Registrierung am höchsten. Dementsprechend entstand bei der sekundären Geschlechterverteilung ein Defizit an männlichen Säuglingen. Dafür war der Anteil der Jungen an den Kindern mit einem sehr niedrigen Geburtsgewicht anschließend im Dezember so niedrig wie noch nie.

Extreme Belastungen während der Schwangerschaft gefährden das Leben des Ungeborenen. Effektiv sterben unter solchen Bedingungen überproportional viele männliche Feten. Hierfür sollen insbesondere hormonelle Faktoren eine Rolle spielen. Denn unter Streß produzieren schwangere Frauen in erhöhtem Maße Kortisol. Durch den verstärkten Glukokortikoid-Einfluß sind männliche Feten wahrscheinlich stärker gefährdet als weibliche. Auch wenn eine zeitweilige leichte Verschiebung der Geschlechterverteilung bei Neugeborenen an sich keinen Grund zur Beunruhigung gibt, läßt sich doch erkennen, wie sehr sich psychische Belastungen auf biologische Prozesse – zumindest die bei Frauen und ungeborenem männlichen Nachwuchs – auswirken können.

Das Geschlechterverhältnis bei der Zeugung blieb unverändert
Verschiedenen Theorien zufolge könnte in Streßsituationen die Konzeption von Mädchen begünstigt sein. Zurückzuführen sei dies auf eine herabgesetzte Motilität der Spermien und auf eine verringerte Koitus-Häufigkeit. Hieraus würde zunächst eine Verschiebung der primären Geschlechterverteilung resultieren, die sich in der Folge auch in der sekundären Geschlechterverteilung niederschlägt.

Die Hypothese, daß unter dem Eindruck der Ereignisse vom 11. September weniger männliche Nachkommen gezeugt worden sein könnten, bestätigte sich nicht. Im fraglichen Zeitraum des folgenden Jahres zeigte die sekundäre Geschlechterverteilung bei den Neugeborenen keine Auffälligkeiten.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erhöhte sich in Kalifornien der Anteil männlicher Feten/Kinder an den Aborten/Totgeburten der beiden Folgemonate.
 

Catalano R, Bruckner T, Gould J, et al. 2005. Sex ratios in California following the terrorist attacks of September 11, 2001. Hum Reprod doi:10.1093/humrep/deh763.
 

März 2005

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Autor: JF Schindler