Mai 2013 
 
Das unterschätzte Risiko für Männer

  Einem möglichen Androgenmangel beim Mann wurde lange Zeit medizinisch wenig Beachtung geschenkt. Möglicherweise könnte die Ursache darin liegen, dass Männer mit zunehmendem Lebensalter eine allmähliche und oft diskret verlaufende Veränderung der Konstitution erleben, anders als Frauen durch die abrupte Einstellung der Ovarialfunktion in der Menopause, welche dann als „natürliche Alterung“ mehr Akzeptanz findet [1](Jäger T, 2013):

  Für das männliche Geschlecht konnte ein altersabhängiger Rückgang der Androgenfreisetzung von jährlich etwa 1 bis 2% ab dem 30. Lebensjahr belegt werden [2, 3, 4] welcher zu klinischen Symptomen führen kann. Der Anteil des biologisch wirksamen Testosterons im Blut verringert sich zudem mit steigendem Alter, da ein zunehmender Anteil an das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) gebunden, dem Organismus für seine eigentliche Funktion nicht mehr zur Verfügung steht [5, 6].
      Zum überwiegenden Teil handelt es sich beim im Erwachsenenalter diagnostizierten Hypogonadismus um eine durch Adipositas, Lebensstil oder Arzneimitteleinnahme erworbene Mangelerscheinung [7], eine ernährungs- und/oder verhaltensbedingte Zunahme des Bauchumfanges auf über 94 cm hat durch die Wirkung der im Fettgewebe produzierten Östrogene negative Auswirkungen auf den Hormonhaushalt. Chronische Erkrankungen (AIDS, Sichelzellanämie, Leberzirrhose, Niereninsuffizienz) können ebenfalls einen Testosteronmangel nach sich ziehen [6, 8, 9]. Verschiedene Medikamente haben einen negativen Effekt auf den Testosteronhaushalt, hierzu zählen Ketokonazol, Glukokortikoide, Opioide, Spironolacton, Estrogene, Gestagene, GnRH-Analoga, Cimetidin, Phenytoin, Carbamazepin und Flutamid [2, 10].
      Zwischenzeitlich konnte durch Alberti et al. eine statistische Korrelation zwischen einem Androgenmangel und den Merkmalen eines metabolischen Syndroms nachgewiesen werden [11]. Symptome des Androgenmangels beim Mann stellen Antriebsarmut mit depressiven Verstimmungen, Rückbildung der Muskulatur, Fettstoffwechselstörungen, Abnahme der Hautdicke, Rückgang von Libido und Potenz, Verlust an Knochendichte und Anämie durch Einschränkungen der Hämatopoese dar.
      Hierbei wird oft nicht der auslösende Hypogonadismus diagnostiziert oder behandelt, sondern vielmehr eine symptomatische Therapie der geschilderten Folgen des Testosteronmangels betrieben [12].
      Die Konsequenzen eines Testosteronmangels sind medizinisch Ernst zu nehmen. Das Mortalitätsrisiko für hypogonadale Männer (Gesamt-Testosteron <2,5 ng/ml) ist im Vergleich zu Männern ohne Mangelerscheinungen mehr als verdoppelt (OR 2,24) [13]. Umgekehrt litten ältere Männer bei Testosteronspiegeln >550 nmol/dl weniger häufig an kardiovaskulären Erkrankungen (OR 0,7) [14]. Bei niedrig normalen und hypogonadalen Testosteronspiegeln ergab sich eine Verdoppelung des Risikos, eine TIA (Transient Ischemic Attack) oder einen Apoplex zu erleiden [15]. Eine langfristige Testosteronsubstitution bei hypogonadalen Männern steigert das Risiko an einem Prostatakarzinom zu erkranken hingegen nicht [16].

  Im Rahmen verschiedener Veranstaltungen wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. rein zufällig ausgewählten Probanden eine Blutentnahme zur Bestimmung der Gesamt-Testosteronkonzentration im Serum angeboten. Hauptziel war hierbei, Männer aller Altersklassen für das Thema zu sensibilisieren. So erfolgte im Jahr 2012 eine Testosteronbestimmung bei 5 735 Männern. Die Blutentnahme erfolgte zwischen 9.00 Uhr und 14.00 Uhr.
      Die Teilnehmer erklärten sich mit der statistischen Auswertung der Ergebnisse einverstanden. Die Testosteronbestimmungen erfolgten im Rahmen der laufenden Routinemessungen im LADR-Labor MVZ Dr. Kramer & Kollegen. Die Gesamt-Testosteronkonzentration im Serum wurde in [ng/ml] bestimmt. Die statistische Auswertung wurde mit Hilfe der Software SPSS 19.0 vorgenommen.
      Die Untersuchung wurde der Ethikkommission der Universität zu Lübeck vor der Durchführung angezeigt

  Bei insgesamt 873 Probanden (15,2%) wurden zum Untersuchungszeitpunkt eindeutig hypogondale Werte mit einer Gesamt-Testosteronkonzentration von unter 2,5 ng/ml ermittelt. Betrachtet man zusätzlich den „Graubereich“ mit Testosteronkonzentrationen von unter 3,5 ng/ml, in welchem bereits Symptome eines Testosteronmangelsyndroms auftreten können, so steigt der Anteil der Männer mit auffällig niedrigen Messwerten auf 37,4% (2 145 Männer). Die mittlere Testosteronkonzentration über alle Alterklassen betrug 4,15 ng/ml (95% KI 3,88-4,83 ng/ml), ohne dass sich hieraus ein signifikanter Unterschied zwischen den einzelnen Alterklassen errechnen lies. Auch der Anteil von Probanden mit hypogonadalen Messwerten war im Vergleich zwischen den Alterklassen nahezu konstant. Im Laufe des Vormittags nahm die mittlere Testosteronkonzentration in allen Alterklassen geringfügig ab. Während die mittlere Testosteronkonzentration in der Zeit zwischen 9.00 Uhr und 10.00 Uhr noch 4,29 ng/ml betrug, sank der ermittelte mittlere Testosteronwert für den Zeitraum zwischen 13.00 Uhr und 14.00 Uhr auf 3,90 ng/ml.

Die Ergebnisse der DGMG-Aufklärungskampagne weisen auf eine erhebliche Prävalenz des Hypogonadismus hin.
  Die vorliegende Erhebung umfasst eines der größten publizierten Kollektive zur Prävalenz des Testosteronmangels in Deutschland und weltweit. Die Auswertung zeigt, dass bei mehr als jedem dritten Mann des Kollektivs teilweise erheblich erniedrigte Testosteronspiegel im Serum ermittelt wurden.
      Vergleichbare Ergebnisse zeigten bereits frühere Arbeiten, wobei hier ein erworbener Hypogonadismus im Alter von über 45 Jahren in 20 bis 40% der Fälle gefunden wurde [17, 18].
      Aufgrund des Designs der Aktion - initial als Aufklärungskampagne entwickelt - lagen keine Daten zu Begleiterkrankungen oder klinischen Symptomen der Probanden vor. Es handelt sich bei der Auswertung somit ausschließlich um die statistische Analyse der im Labor ermittelten Messergebnisse. Somit konnten auch die bekannten Einflussfaktoren auf den Testosteronspiegel, wie z.B. der Body-Mass-Index, der Bauchumfang oder das Vorliegen eines metabolischen Syndroms bei der Interpretation der Studienergebnisse nicht berücksichtigt werden.
      Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Testosteronhaushalt einen teilweise entscheidenden Einfluss auf verschiedene Organsysteme des Mannes hat, sollte die Bestimmung dieses bedeutsamen Parameters im Rahmen der Abklärung entsprechender Beschwerden nicht in Vergessenheit geraten. So konnte in einer britischen Untersuchung bei 27% von 124 Männern mit erektiler Dysfunktion im mittleren Alter von 50 Jahren ein niedriger Testosteronspiegel bestimmt werden [19]. Zudem haben Männer mit erniedrigtem Testosteronspiegel ein erhöhtes Frakturrisiko durch Osteoporose, wodurch sich eine erhebliche Morbidität, Mortalität und Behinderung ergeben kann [20].
      Die Ergebnisse der Querschnittstudie zum Hypogonadismus bei Männern (HIM) konnten belegen, dass etwa zwei Drittel aller Männer mit niedrigem Gesamt-Testosteronspiegel mindestens eines oder mehrere Symptome des Hypogonadismus aufwiesen [17].
      Aus den vorliegenden Daten lässt sich eindeutig ableiten, dass der Testosteronmangel in allen Alterklassen eine mögliche Ursache für Erkrankungen darstellt, welche symptomatisch behandelt werden, ohne die auslösende Ursache zu kennen. Hier muss in Zukunft Aufklärungsarbeit bei Patienten, aber auch bei Fachkollegen sämtlicher Fachdisziplinen geleistet werden, um bei der Diagnostik im Rahmen eines teilweise unspezifischen Beschwerdebildes auch an die Möglichkeit eines Hypogonadismus als potenzielle Ursache zu denken. Insbesondere muss eine Bestimmung der Testosteronkonzentration im Rahmen der Diagnostik bei Vorliegen spezifischer Symptome wie Libidoverlust, erektiler Dysfunktion, Depression, Lethargie, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen, Reizbarkeit und depressiver Verstimmung angeraten werden.
      Die künftigen Ergebnisse der Aktion werden weiterhin dazu dienen, die beschriebenen Zusammenhänge zu überprüfen und einen Überblick zur Prävalenz des Hypogonadismus in unterschiedlichen Altersklassen zu erlangen. Zudem wird bei den folgenden Untersuchungen eine Erhebung klinischer Parameter zu bekannten Erkrankungen und Beschwerden erfolgen, so dass eine Aussage zum Zusammenhang mit niedrigen Testosteronspiegeln möglich sein wird.

[1] Araujo AB, Wittert GA. 2011. Endocrinology of the aging male. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab. 25:303-19
[2] Kaufmann JM, Vermeulen A. 2005. The decline of androgen levels in elderly men and its clinical and therapeutic implications. Endocr Rev. 26:833-76.
[3] Vermeulen A, Kaufmann JM, Giagulli VA. 1996. Influence of some biological indexes on sex hormone-binding globulin and androgen levels in aging or obese males. J Clin Endocrinol Metab. 81:1821-6.
[4] Travison TG, Araujo AB, Kupelian V et al. 2007. The relative contributions of aging, health, and lifestyle factors to serum testosterone decline in men. J Clin Endocrinol Metab. 92:549-55.
[5] Wu FC, Tajar A, Pye SR et al. 2008. European Male Aging Study Group. Hypothalamic-pituitary-testicular axis disruptions in older men are differentially linked to age and modifiable risk factors: the European Male Aging Study. J Clin Endocrinol Metab. 93:2737-45.
[6] Kalyani RR, Gavini S, Dobs AS. 2007. Male hypogonadism in systemic disease. Endocrinol Metab Clin North Am. 36:333-48.
[7] Svatberg J, Midtby M, Bonaa KH, et al. 2003. The associations of age, lifestyle factors and chronic disease with testosterone in men: the Tromso Study. Eur J Endocrinol. 149:145-52.
[8] Liu PY, Handelsman DJ. 2004. Androgen therapy in non-gonadal disease. In: Nieschlag E, Behre HM (eds.). Testosterone – action, deficiency, substitution. Cambridge University Press, Cambridge, 445-95.
[9] Dandona P, Rosenberg MT. 2010. A practical guide to male hypogonadism in the primary care setting. Int J Clin Pract. 64:682-96.
[10] Tenover JL. 1998. Male hormone replacement therapy including „andropause“. Endocrinol Metab Clin North Am. 27:969-87.
[11] Alberti KG, Eckel RH, Grundy SM et al. 2009. Harmonizing the metabolic syndrome: a joint interim statement of the International Diabetes Federation Task Force on Epidemiology and Prevention; National Heart, Lung, and Blood Institute; American Heart Association; World Heart Federation; International Atherosclerosis Society; and International Association for the Study of Obesity. Circulation 120:1640-45.
[12] Hall SA, Araujo AB, Esche GR et al. 2008. Treatment of symptomatic androgen deficiency: results from the Boston Area Community Health Survey. Arch Intern Med. 168:1070-6. [13] Haring R, Völzke H, Steveling A et al. 2010. Low serum testosterone levels are associated with increased risk of mortality in a population-based cohort of men aged 20-79. Eur Heart J. 31(12):1494-501.
[14] Ohlsson C, Barrett-Connor E, Bhasin S et al. 2011. High serum testosterone is associated with reduced risk of cardiovascular events in elderly men. The MrOS (Osteoporotic Fractures in Men) study in Sweden. J Am Coll Cardiol. 58(16):1674-81.
[15] Yeap BB, Hyde Z, Almeida OP et al. 2009. Lower testosterone levels predict incident stroke and transient ischemic attack in older men. J Clin Endocrinol Metab. 94(7):2353-9.
[16] Raynaud JP, Gardette J, Rollet J, Legros JJ. 2013. Prostate-specific antigen (PSA) concentrations in hypogonadal men during 6 years of transdermal testosterone treatment. BJU Int. Jan 7. doi: 10.1111/j.1464-410X.2012.11514.x. [Epub ahead of print].
[17] Mulligan T, Frick MF, Zuraw QC et al. 2006. Prevalence of hypogonadism in males aged at least 45 years: the HIM study. Int J Clin Pract. 60:762-9.
[18] Haring R, Ittermann T, Völzke H et al. 2010. Prevalence, incidence and risk factors of testosterone deficience in a population-based cohort of men: results from the study of health in Pomerania. Aging Male 13:247-57.
[19] Somani B, Khan S, Donat R. 2010. Screening for metabolic syndrome and testosterone deficiency in patients with erectile dysfunction: results from the first UK prospective study. BJU Int. 106:688-90.
[20] Orwoll ES, Klein RF (1995) Osteoporosis in men. Endocr Rev. 16:87-116.
 

 Mai 2013

Drucken
Autor: Dr. med. Tobias Jäger