Juni 2013 
 
Klinefelter Syndrom: Häufigste Form von Hypogonadismus bleibt oft unerkannt/unbehandelt

Das Klinefelter Syndrom (KS) ist die häufigste Chromosomenstörung beim männlichen Geschlecht. Sie betrifft 1 bis 2 Knaben auf 1000 Neugeborene. KS ist die am häufigsten auftretende Form des Hypogonadismus bei Männern. Der Androgenmangel führt bei den Patienten zu einer Reihe gesundheitlicher und psychosozialer Probleme. Hierzu zählen Langzeitfolgen wie die Osteoporose, eine depressive Stimmungslage, das Schwinden männlicher psychologischer Attribute, Atherosklerose, Anämie, Libidomangel, sexuelle Funktionsstörungen und nachteilige Veränderungen der Körperzusammensetzung. Zudem ist KS die häufigste genetisch bedingte Ursache von Infertilität. Bedrückend ist, dass bislang nur etwa jeder vierte Mann mit KS zeitlebens diagnostiziert wird. Mit einem Review zu KS ist es beabsichtigt die Wahrnehmung für die wichtigsten Symptome bei KS zu schärfen, um vermehrt betroffene Patienten zu diagnostizieren und einer adäquaten Behandlung zuführen zu können (Nieschlag E, 2013):

Symptome und Parameter mit Relevanz für die Diagnose von KS
Durch das geringe Hodenvolumen heben sich Männer mit KS deutlich von eugonadalen Männern ab (Abb.)


Vielfach findet sich bei KS-Patienten eine beidseitige Gynäkomastie mit deutlich palpablen Drüsenkörpern und Hochwuchs mit langen Beinen bei einem kurzem Rumpf. Der Testosteronmangel ist sehr variabel und reicht von voll ausgeprägtem Hypogonadismus bis hin zu Testosteronspiegeln im unteren Normbereich. Mit dem Testosteronmangel assoziiert findet sich häufig spärlicher Bartwuchs, eine verminderte Libido, erektile Dysfunktion, Osteoporose und eine leichte Anämie.
      Oft ist die Registrierung von Infertilität bei Männern mit KS der Anlass, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Die Bestimmung der Samenparameter ergibt in mehr als 90% der Fälle Azoospermie und bei nahezu 10% eine Oligoasthenoteratozoospermie. Die Testosteronwerte sind erniedrigt während LH und FSH hoch bzw. sehr hoch liegen.
      Als psychosoziale Probleme bei KS-Patienten finden sich eine eingeschränkte Verbalisierung, Lernschwierigkeiten, Aufmerksamkeitsdefizite, Legasthenie. Die berufliche Entwicklung bleibt oft unter dem für die Familie erarbeiteten Niveau. Häufig bereitet die Sozialisierung der jungen Männer mit KS Schwierigkeiten.

Testosteronsubstitution spielt zentrale Rolle in der Therapie bei KS
Die Substitution mit Testosteron ist die wichtigste Therapiemaßnahme, um bei Klinefelter-Patienten die Langzeitfolgen eines Androgenmangels zu verhindern. Nach den Erfahrungswerten einiger Untersucher sollte mit der Testosteronsubstitution in der Pubertät begonnen und die Behandlung lebenslang fortgeführt werden. Mit der frühzeitigen Therapie sei eine Verbesserung der körperlichen, psychischen und schulischen Entwicklung sowie der sozialen Integration zu erzielen. Es wurde sogar in Kasuistiken berichtet, dass unter einer Testosteronsubstitution bei jugendlichen KS-Patienten kriminelle Tendenzen verschwanden. Eine frühzeitige Testosteronsubstitution sollte zunächst möglicht intermittierend mit kurz wirksamen Präparaten vorgenommen werden. Damit wird die zunächst noch vorhandene Eigenproduktion von Testosteron nicht unterdrückt.
      In jedem Fall sollte mit der Testosterontherapie begonnen werden, wenn sich Symptome eines Hypogonadismus bemerkbar machen. Als Richtlinie können auch die Untergrenzen der Normbereiche von 12 nmol/l für Gesamt- und 250 pmol/l für freies Testosteron dienen. Bei der Wahl des Präparates ist es sinnvoll die Präferenzen der Patienten zu berücksichtigen. Sowohl intramuskuläre Depot-Injektionen als auch transdermale Gele haben sich als geeignet erwiesen. Häufig wird heute die lang wirksame Depot-Formulierung mit Testosteron-Undecanoat (1000 mg) bevorzugt angewandt, da sie nach initialer Aufsättigung mit nur vier Injektionen pro Jahr auskommt und für anhaltend im Normbereich liegende Testosteronspiegel sorgt.

Vaterschaft bei KS-Patienten heute durchaus möglich
Spontane Schwangerschaften durch Männer mit KS sind äußerst selten. Andererseits kann die zumeist vorhandene Restspermatogenese genutzt werden, um mit modernen Methoden der assistierten Reproduktion den Kinderwunsch von KS-Patienten zu erfüllen. Am Erfolg versprechendsten ist hierbei die mikrochirurgische testikuläre Spermienextraktion (TESE) mit anschließender intrazytoplasmatischer Spermiuminjektion (ICSI). Die publizierte Datenlage weist eine etwa 50%ige Erfolgsquote für Lebendgeburten bei Anwendung der TESE auf.
      Unter Berücksichtigung von Kinderwunsch wirkt sich die frühzeitige Testosteronsubstitution durch Unterdrückung der Restspermatogenese kontraproduktiv aus. Bei bereits substituierten Männern muss Testosteron für mindestens 3 bis 6 Monate abgesetzt werden, um die Restspermatogenese wieder "aufleben" zu lassen.

Bislang wird nur bei etwa jedem vierten Mann mit Klinefelter Syndrom zeitlebens auch die Diagnose gestellt und entsprechend behandelt. Bei aufmerksamerer Beachtung bestimmter Merkmale wie insbesondere den kleinen, festen Hoden ließen sich vermehrt KS-Fälle diagnostizieren. Deren Zuführung zu einer adäquaten Therapie bedeutete für diese Männer zumeist eine deutliche Erhöhung ihrer Lebensqualität.

Nieschlag E, 2013. Klinefelter syndrome: the commonest form of hypogonadism, but often overlooked or untreated. Dtsch Arztebl Int 110:347-353.
 

 Juni 2013

Drucken
Referat: jfs