Klinefelter Syndrom: Häufigste Form von Hypogonadismus bleibt oft unerkannt/unbehandelt
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Das Klinefelter Syndrom (KS) ist die häufigste Chromosomenstörung beim männlichen Geschlecht.
Sie betrifft 1 bis 2 Knaben auf 1000 Neugeborene.
KS ist die am häufigsten auftretende Form des Hypogonadismus bei Männern.
Der Androgenmangel führt bei den Patienten zu einer Reihe gesundheitlicher und psychosozialer Probleme.
Hierzu zählen Langzeitfolgen wie die Osteoporose, eine depressive Stimmungslage, das Schwinden
männlicher psychologischer Attribute, Atherosklerose, Anämie, Libidomangel, sexuelle Funktionsstörungen
und nachteilige Veränderungen der Körperzusammensetzung. Zudem ist KS die häufigste genetisch bedingte
Ursache von Infertilität. Bedrückend ist, dass bislang nur etwa jeder vierte Mann mit KS zeitlebens
diagnostiziert wird. Mit einem Review zu KS ist es beabsichtigt die Wahrnehmung für die wichtigsten Symptome bei
KS zu schärfen, um vermehrt betroffene Patienten zu diagnostizieren und einer adäquaten Behandlung zuführen zu können
(Nieschlag E, 2013):
Symptome und Parameter mit Relevanz für die Diagnose von KS
Durch das geringe Hodenvolumen heben sich Männer mit KS deutlich von eugonadalen Männern ab (Abb.)
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Verteilung der beidseitigen Hodenvolumina kombiniert bei 160 Klinefelter-Patienten und 137 eugonadalen Männern.
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Vielfach findet sich bei KS-Patienten eine beidseitige Gynäkomastie mit deutlich palpablen Drüsenkörpern
und Hochwuchs mit langen Beinen bei einem kurzem Rumpf. Der Testosteronmangel ist sehr variabel und reicht von voll ausgeprägtem
Hypogonadismus bis hin zu Testosteronspiegeln im unteren Normbereich. Mit dem Testosteronmangel assoziiert findet sich häufig
spärlicher Bartwuchs, eine verminderte Libido, erektile Dysfunktion, Osteoporose und eine leichte Anämie.
Oft ist die Registrierung von Infertilität bei Männern mit KS der Anlass, sich in ärztliche Behandlung zu begeben.
Die Bestimmung der Samenparameter ergibt in mehr als 90% der Fälle Azoospermie und bei nahezu 10% eine
Oligoasthenoteratozoospermie. Die Testosteronwerte sind erniedrigt während LH und FSH hoch bzw. sehr hoch liegen.
Als psychosoziale Probleme bei KS-Patienten finden sich eine eingeschränkte Verbalisierung, Lernschwierigkeiten, Aufmerksamkeitsdefizite,
Legasthenie. Die berufliche Entwicklung bleibt oft unter dem für die Familie erarbeiteten Niveau.
Häufig bereitet die Sozialisierung der jungen Männer mit KS Schwierigkeiten.
Testosteronsubstitution spielt zentrale Rolle in der Therapie bei KS
Die Substitution mit Testosteron ist die wichtigste Therapiemaßnahme,
um bei Klinefelter-Patienten die Langzeitfolgen eines Androgenmangels zu verhindern.
Nach den Erfahrungswerten einiger Untersucher sollte mit der Testosteronsubstitution in der
Pubertät begonnen und die Behandlung lebenslang fortgeführt werden.
Mit der frühzeitigen Therapie sei eine Verbesserung der körperlichen, psychischen und schulischen Entwicklung
sowie der sozialen Integration zu erzielen. Es wurde sogar in Kasuistiken berichtet, dass unter einer
Testosteronsubstitution bei jugendlichen KS-Patienten kriminelle Tendenzen verschwanden.
Eine frühzeitige Testosteronsubstitution sollte zunächst möglicht intermittierend mit kurz
wirksamen Präparaten vorgenommen werden. Damit wird die zunächst noch vorhandene Eigenproduktion
von Testosteron nicht unterdrückt.
In jedem Fall sollte mit der Testosterontherapie begonnen werden, wenn sich Symptome eines Hypogonadismus
bemerkbar machen. Als Richtlinie können auch die Untergrenzen der Normbereiche von 12 nmol/l für Gesamt- und
250 pmol/l für freies Testosteron dienen. Bei der Wahl des Präparates ist es sinnvoll die Präferenzen
der Patienten zu berücksichtigen. Sowohl intramuskuläre Depot-Injektionen als auch transdermale
Gele haben sich als geeignet erwiesen. Häufig wird heute die lang wirksame Depot-Formulierung mit
Testosteron-Undecanoat (1000 mg) bevorzugt angewandt, da sie nach initialer Aufsättigung mit nur
vier Injektionen pro Jahr auskommt und für anhaltend im Normbereich liegende Testosteronspiegel sorgt.
Vaterschaft bei KS-Patienten heute durchaus möglich
Spontane Schwangerschaften durch Männer mit KS sind äußerst selten.
Andererseits kann die zumeist vorhandene Restspermatogenese genutzt werden, um mit modernen Methoden
der assistierten Reproduktion den Kinderwunsch von KS-Patienten zu erfüllen.
Am Erfolg versprechendsten ist hierbei die mikrochirurgische testikuläre Spermienextraktion (TESE) mit
anschließender intrazytoplasmatischer Spermiuminjektion (ICSI). Die publizierte Datenlage weist eine
etwa 50%ige Erfolgsquote für Lebendgeburten bei Anwendung der TESE auf.
Unter Berücksichtigung von Kinderwunsch wirkt sich die frühzeitige Testosteronsubstitution durch
Unterdrückung der Restspermatogenese kontraproduktiv aus. Bei bereits substituierten Männern muss
Testosteron für mindestens 3 bis 6 Monate abgesetzt werden, um die Restspermatogenese wieder
"aufleben" zu lassen.
Bislang wird nur bei etwa jedem vierten Mann mit Klinefelter Syndrom
zeitlebens auch die Diagnose gestellt und entsprechend behandelt.
Bei aufmerksamerer Beachtung bestimmter Merkmale wie insbesondere den kleinen, festen Hoden ließen
sich vermehrt KS-Fälle diagnostizieren. Deren Zuführung zu einer adäquaten
Therapie bedeutete für diese Männer zumeist eine deutliche Erhöhung ihrer Lebensqualität.
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Nieschlag E, 2013.
Klinefelter syndrome: the commonest form of hypogonadism, but often overlooked or untreated.
Dtsch Arztebl Int 110:347-353.
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