Wenn Bodybuilder nach langjähriger missbräuchlicher Einnahme hoher Dosen
anaboler Steroide einen plötzlichen Herztod sterben — oder zumindest
kurz davor stehen —, finden sich immer wieder Stimmen, die das als
Beweis dafür werten, dass sich Androgene schädigend auf das
Herz-Kreislauf-System auswirken. Nun muss man aber sicher nicht erst
mühevoll die einschlägigen Daten über Sexualsteroide und kardiovaskuläre
Krankheiten aus der wissenschaftlichen Literatur zusammentragen, um zu
erkennen, dass Hormon-Abusus nicht mit physiologischen Gegebenheiten zu tun hat.
Aber bei kritischer Betrachtung fällt es auch heute noch schwer, die Rolle
der Sexualsteroide im Rahmen der kardiovaskulären Gesundheit definitiv
zu beurteilen. Eine Fülle kardiovaskulärer Risikofaktoren, die alle direkt oder indirekt
von Sexualsteroiden beeinflusst werden, wirken sich auf die Entwicklung von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus. Dennoch kommt eine Auswertung der
wichtigsten einschlägigen Studien zu dem Schluss, dass die systemischen
endogenen Androgene und Estradiol günstige bzw. neutrale Einflüsse auf
die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen haben (Muller M, 2003):
Physiologisch hohe Androgen-Spiegel senken das
kardiovaskuläre Erkrankungsrisiko
Die Literatur-Recherche erbrachte eine Fülle von Daten, die insgesamt
belegen, dass altersbezogene Veränderungen des Sexualsteroid-Status
sich auf bekannte kardiovaskuläre Risikofaktoren wie ein Hypertonus,
Hypercholesterinämie, Hypertriglyzeridämie, Insulinresistenz und Adipositas
insgesamt negativ auswirken. Darüber hinaus errechneten einige Untersucher auch eine
von diesen Risikofaktoren unabhängige Assoziation zwischen endogenen
Sexualsteroidhormonen und kardiovaskulären Krankheiten (Abb.).
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Studien, in denen für Männer das relative Risiko kardiovaskulär zu erkranken
im Zusammenhang mit den Spiegeln an Gesamttestosteron
(blau) und/oder freiem Testosteron (grün) unter Berücksichtigung
weiterer Risikofaktoren errechnet wurde: In den meisten Untersuchungen
war das Erkrankungsrisiko in der Gruppe von Teilnehmern mit den höchsten
Androgen-Spiegeln erniedrigt (nach Muller M, et al. 2003). |
Auch für das Nebennierenrinden-Steroid Dehydroepiandrosteron (DHEA) wurde
ein — wenn auch deutlich geringerer — kardiovaskulärer Benefit
ermittelt. Hingegen sind die entsprechenden Ergebnisse für Estradiol bei
Männern allenfalls neutral.
Wie lassen sich Sexualhormonwirkungen am
Gefäßsystem erklären?
Einen primären, wichtigen Hinweis darauf, dass Testosteron kardiovaskuläre
Funktionen beeinflusst, gibt die weite Verbreitung intrazellulärer Androgen-Rezeptoren
im Gefäßsystem. Ihre Lokalisation in der Media lässt vermuten, dass sie auch an
der Regulierung des glattmuskulären Tonus beteiligt sind.
Testosteron-Effekte führen zur Dilatation der koronaren und herznahen
Gefäße. Hieran sind sowohl Endothel-abhängige als auch
Endothel-unabhängige Mechanismen beteiligt, bei denen nicht näher identifizierte
Rezeptoren für Testosteron auf der Zelloberfläche eine Rolle spielen.
Wahrscheinlich bewirken Androgene ein Öffnen von Kalium-Kanälen in der
Plasmamembran. Über die Plasmamembran-ständigen Rezeptoren werden Effekte
sehr viel rascher ausgelöst als über die klassischen intrazellulären
Androgen-Rezeptoren. Zudem gibt es Befunde, wonach Testosteron durch
Kalzium-antagonistische vasodilatorisch wirkt.
Antiatherogene Effekte könnten dem Testosteron auch insofern zukommen,
als es in Endothelzellen teilweise in Estradiol umgewandelt wird. Dadurch erreichen
die intrazellulären Estradiol-Konzentrationen unter Umständen Spiegel, die
weit oberhalb des systemischen Estradiol-Spiegels liegen. Letzterer hat beim
Mann keinen Einfluss auf die Entwicklung bzw. Verhinderung kardiovaskulärer
Erkrankungen.
Endothelzellen enthalten auch Plasmamembran-ständige Rezeptoren für DHEA.
Über sie wird die Produktion von Stickstoffmonoxid stimuliert. Das nitrose
Gas wirkt als Vasodilatator.
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