Fortschritte in Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen in der Adoleszenz
gehen inzwischen mit relativ hohen Heilungsraten einher. In 15-30% der Fälle führt die
gonadotoxische Therapie bei jungen Männern jedoch zur bleibenden Infertilität. Pädiater,
Urologen und Andrologen in Rouen (Frankreich) haben deshalb untersucht, ob und wie gut die Fertilität
bei jungen Krebspatienten durch die Kryokonservierung von Spermien geschützt werden kann.
(Menon S, et al. 2008):
Die Inzidenz von Karzinomen bei männlichen Adoleszenten liegt bei rund 200 pro Million.
Die 5-Jahres-Überlebensraten sind von etwa 50% in den 1970er Jahren auf 75% in den 1990ern
angestiegen. Bis zu einem Drittel der jungen Krebspatienten sind nach der Behandlung infertil.
Der testikuläre Schaden hängt von der Art der Chemotherapie und der Dosis der Bestrahlung ab.
Nach einer Knochenmark-Transplantation ist in nahezu 100% der Fälle mit einer Azoospermie zu rechnen.
Die Kryokonservierung von Spermien wiederum ist eine etablierte Methode, die die Erfüllung eines
späteren Kinderwunsches erlaubt. Schon in der Pubertät können Jungen durch Masturbation Samenzellen
gewinnen und kryokonservieren lassen, wenn sie von den Onkologen auf diese Möglichkeit hingewiesen
werden.
In die retrospektive Studie in Rouen gingen insgesamt 156 Adoleszente im Alter zwischen 13 und 20
Jahren ein, die aufgearbeitete Spermaproben einfrieren lassen wollten – was in 88,5% der Fälle
auch gelang. 84% der Proben stammten von Jungen, die an einem Karzinom erkrankt waren.
Behutsames Vorgehen bei der Samengewinnung
Bei der überwiegenden Mehrzahl der Jungen gelang es, eine oder mehrere Samenproben zu gewinnen.
Die Autoren raten allerdings zu einem behutsamen Vorgehen, um die Jungen nicht zu beschämen.
Wenn Masturbation nicht zum Ziel führt, kann alternativ auch Post-Masturbationsurin eingesetzt
werden. Bei erektiler Dysfunktion können Medikamente hilfreich sein. Die übrigen Methoden der
Samengewinnung – Vibrations- oder Elektro-Stimulation bzw. testikuläre Extraktion – sollten wegen
möglicher negativer Folgen auf die Psyche nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden.
Da die Samenkonzentration bei Karzinompatienten oft bereits erheblich herabgesetzt ist,
sollten idealerweise zudem zwei bis drei Proben gewonnen werden, um genügend "Ausgangsmaterial"
zu asservieren.
Erfolgreiche Samengewinnung bei neun von zehn Jungen
Insgesamt gelang es, bei neun von zehn Jungen (88,5%) Kryodepots anzulegen, nur in 2,6% der Fälle
lag eine Azoospermie vor. Die Samenparameter waren nur bei denjenigen Patienten signifikant verändert,
bei denen bereits Knochenmetastasen objektiviert waren.
Erwartungsgemäß zeigte sich beim Volumen eine Korrelation mit dem Alter: Bei 14-Jährigen lag es
um 0,3 ml, bei 20-Jährigen bei 3,5 ml. Es fand sich dagegen – ebenso wie bei der Dichte und der
Gesamtzahl – keine Korrelation mit der Tumorart, Ausnahme: Fälle mit Knochenmetastasen.
In Übereinstimmung mit der Literatur beobachteten die Autoren bei den aufgetauten Proben generell
eine verminderte Motilität, ebenfalls unabhängig von der Art des Karzinoms.
Bei 22 Patienten wurden Samenproben nach der Therapie gewonnen. Bei neun der jungen Männer (40%)
lag eine Azoospermie vor, und in vier Fällen war Knochenmark transplantiert worden.
Ein Viertel der Kryodepots wurde im Verlauf der Zeit aufgehoben, ganz überwiegend war der
Patient verstorben.
Nur ein sehr kleiner Prozentsatz – 2,2% – griff tatsächlich auf die eingefrorenen Samenzellen zurück,
um die Familienplanung zu verwirklichen. Die überwiegende Mehrzahl der Patienten, die sich für die
Fortsetzung der Kryokonservierung aussprachen, ist immer noch jünger als 30 Jahre.
Fünf Spontan-Schwangerschaften
Fünf der ehemaligen Krebs-Patienten haben in der Zwischenzeit spontan ein eigenes Kind gezeugt. In zwei
weiteren Fällen wurde eine assistierte Reproduktion vorgenommen – einmal mit frischen eigenen
Spermatozoen und einmal mit Donorsperma. In drei Fällen kam es beim Einsatz des Kryospermas nicht zur
erhofften Schwangerschaft.
Die Kryokonservierung von Spermien vor einer potenziell gonadotoxischen Therapie ist auch bei Adoleszenten
in den meisten Fällen eine Möglichkeit zur Fertilitäts-Protektion – unabhängig vom Karzinomtypus.
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Onkologen sind bei der Fertilitätsprotektion offensichtlich sehr zurückhaltend: Sie sprechen die Möglichkeit
der Kryokonservierung von Spermien bei jungen männlichen Patienten nur in weniger als 25% der Fälle an – wohl
im Glauben, die Methode sei bei Adoleszenten weniger effektiv. Generell werde die Toxizität für die Gonaden
auch unterschätzt, so die Autoren.
Die Abfragequote liegt mit 2,2% deutlich niedriger als bei Depots Erwachsener (rund 10%). Allerdings sind
die meisten Überlebenden der Kindheitskarzinome heute auch noch keine 30 Jahre alt.
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