Genetisch bedingte Infertilität des Mannes wird nicht selten durch Mikrodeletionen
auf dem Y-Chromosom hervorgerufen. Diese Gen-Defekte lassen sich — wenn
überhaupt — nur durch intrazytoplasmatische Spermium-Injektion (ICSI)
vom Vater auf den Sohn vererben.
Allerdings sind offenbar nicht alle Gene, die an der Regulierung der
Spermatogenese beteiligt sind, auf dem Y-Chromosom lokalisiert. Denn auch
auf dem Chromosom 11 befindet sich eine Region (11p15), die in Fällen von Azoospermie
bzw. schwergradiger Oligozoospermie ätiologisch eine Rolle spielen kann
Auf dem Chromosom 11 befindet sich in 11p15 unter anderem das Gen für das
heterogene nukleäre Ribonukleoprotein G-T (HNRNP G-T). Dieses Gen wird spezifisch
in Pachytän-Spermatozyten und in geringerem Maße auch in runden Spermatiden
exprimiert. Mutationen von (HNRNP G-T) gelten als mögliche Verursacher
männlicher Infertilität (Westerveld GH, et al. 2004):
(HNRNP G-T)-Mutationen können die Spermatogenese beeinträchtigen
Bei Sequenzanalysen des (HNRNP G-T)-Gens von subfertilen Männern
wurden insgesamt acht verschiedene Mutationen analysiert, von denen zwei
bei den Kontrollpersonen mit Normozoospermie nicht vorkamen. Insbesondere eine
Mutation, bei der in Position 100 des Proteinproduktes, bei dem an Stelle von
Arginin ein Histidin eingebaut wird (F100H) führt voraussagbar zum Funktionsverlust.
Diese Mutation wurde von der Mutter vererbt.
Vermutlich benötigen Keimzellen HNRNP G-T zum zellspezifischen Splicen von
Prä-mRNA. Hierbei werden von verschiedenen Proteinen hodenspezifische Isoformen
gebildet, die bei der Spermatogenese eine Rolle spielen. Bei Vorliegen der
F100H-Mutation können diese Isoformen offenbar nicht entstehen, da die
RNA-Bindungsfähigkeit von HNRNP G-T beeinträchtigt ist.
Heterozygosität von HNRNP G-T bewirkt
Spermatogenese-Defekt
Normalerweise sollten Mutationen in nur einem Allel eines autosomalen Gens
nicht zur Manifestation eines Krankheitszustandes führen. Das wäre allerdings
doch der Fall, wenn die Mutation als autosomal dominanter Gen-Defekt vererbt wird.
Bei männlicher Fertilität müsste die dominante Mutation von der
Mutter stammen. Andererseits könnte HNRNP G-T ein genetisch
geprägtes Gen sein, von dem nur das von der Mutter ererbte Allel exprimiert
wird. Verschiedene geprägte Gene sind in der unmittelbaren Nachbarschaft
von HNRNP G-T lokalisiert. Letztlich könnte auch eine Haploinsuffizienz
vorliegen, so dass das unveränderte Allel den Funktionsausfall des defekten
Gens nicht kompensieren kann.
Da die F100H-Mutation im konkreten Fall von der Mutter stammte, kann daraus
auf deren Pathogenität geschlossen werden. Die Vererbung eines
Spermatogenese-Defekts durch die Mutter ist eine Erklärung dafür, wie
männliche Infertilität bzw. Subfertilität über Generationen hinweg an
männliche Nachkommen weitergegeben werden kann.
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