April 2004 
 

Mütterlicherseits vererbte männliche Infertilität


Genetisch bedingte Infertilität des Mannes wird nicht selten durch Mikrodeletionen auf dem Y-Chromosom hervorgerufen. Diese Gen-Defekte lassen sich — wenn überhaupt — nur durch intrazytoplasmatische Spermium-Injektion (ICSI) vom Vater auf den Sohn vererben. Allerdings sind offenbar nicht alle Gene, die an der Regulierung der Spermatogenese beteiligt sind, auf dem Y-Chromosom lokalisiert. Denn auch auf dem Chromosom 11 befindet sich eine Region (11p15), die in Fällen von Azoospermie bzw. schwergradiger Oligozoospermie ätiologisch eine Rolle spielen kann

Auf dem Chromosom 11 befindet sich in 11p15 unter anderem das Gen für das heterogene nukleäre Ribonukleoprotein G-T (HNRNP G-T). Dieses Gen wird spezifisch in Pachytän-Spermatozyten und in geringerem Maße auch in runden Spermatiden exprimiert. Mutationen von (HNRNP G-T) gelten als mögliche Verursacher männlicher Infertilität (Westerveld GH, et al. 2004):

(HNRNP G-T)-Mutationen können die Spermatogenese beeinträchtigen
Bei Sequenzanalysen des (HNRNP G-T)-Gens von subfertilen Männern wurden insgesamt acht verschiedene Mutationen analysiert, von denen zwei bei den Kontrollpersonen mit Normozoospermie nicht vorkamen. Insbesondere eine Mutation, bei der in Position 100 des Proteinproduktes, bei dem an Stelle von Arginin ein Histidin eingebaut wird (F100H) führt voraussagbar zum Funktionsverlust. Diese Mutation wurde von der Mutter vererbt.

Vermutlich benötigen Keimzellen HNRNP G-T zum zellspezifischen Splicen von Prä-mRNA. Hierbei werden von verschiedenen Proteinen hodenspezifische Isoformen gebildet, die bei der Spermatogenese eine Rolle spielen. Bei Vorliegen der F100H-Mutation können diese Isoformen offenbar nicht entstehen, da die RNA-Bindungsfähigkeit von HNRNP G-T beeinträchtigt ist.

Heterozygosität von HNRNP G-T  bewirkt Spermatogenese-Defekt
Normalerweise sollten Mutationen in nur einem Allel eines autosomalen Gens nicht zur Manifestation eines Krankheitszustandes führen. Das wäre allerdings doch der Fall, wenn die Mutation als autosomal dominanter Gen-Defekt vererbt wird. Bei männlicher Fertilität müsste die dominante Mutation von der Mutter stammen. Andererseits könnte HNRNP G-T ein genetisch geprägtes Gen sein, von dem nur das von der Mutter ererbte Allel exprimiert wird. Verschiedene geprägte Gene sind in der unmittelbaren Nachbarschaft von HNRNP G-T lokalisiert. Letztlich könnte auch eine Haploinsuffizienz vorliegen, so dass das unveränderte Allel den Funktionsausfall des defekten Gens nicht kompensieren kann.

Da die F100H-Mutation im konkreten Fall von der Mutter stammte, kann daraus auf deren Pathogenität geschlossen werden. Die Vererbung eines Spermatogenese-Defekts durch die Mutter ist eine Erklärung dafür, wie männliche Infertilität bzw. Subfertilität über Generationen hinweg an männliche Nachkommen weitergegeben werden kann.
 

Westerveld GH, Gianotten J, Leschot NJ, et al. 2004. Heterogeneous nuclear ribinucleoprotein G-T (HNRNP G-T) mutations in men with impaired spermatogenesis. Mol Hum Reprod 10:265-269.
 

April 2004

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Autor: JF Schindler