„Revisited“: Testosteron-Behandlung und das Risiko für aggressiven Prostatakrebs bei Männern mit niedrigen Testosteronspiegeln

Hintergrund

Entgegen den bisherigen, weitgehend übereinstimmend negativen Erkenntnissen hypothetisierte ein Untersucherteam der Universität, Seattle, Washington, USA, dass bereits die relativ kurzfristige Behandlung mit Testosteron in Relation zur Nichtbehandlung ein erhöhtes Prostatakrebs-Risiko birgt. Ferner sollte gemäß ihrer Prämisse das Risiko bei Testosteron-Anwendern positiv mit der kumulativen Testosterondosis korrelieren.

Zielsetzung
Anhand einer retrospektiven Anfangs-Kohortenstudie (Inception Cohort Study) wurde der Zusammenhang zwischen mäßig langer Behandlung mit Testosteron und neu aufgetretenem aggressivem Prostatakrebs untersucht (Walsh TJ, et al. 2018):

Analysekollektiv und Methoden
Das Studienkollektiv bestand aus Veteranen im Alter von 40 bis 89 Jahren, bei denen in den Jahren 2002 bis 2011 innerhalb von sechs Monaten ein niedriger Testosteron-Spiegel und ein normaler prostataspezifisches Antigen (PSA)-Wert bestimmt worden waren. Zur Vereinheitlichung der Anfangsbedingungen erfolgte die Aufnahme in die Kohorte jeweils zum Zeitpunkt des erstmals ermittelten niedrigen Testosteronspiegels oder dem des berechtigenden PSA-Tests, je nachdem welcher Zeitpunkt der spätere war.

Die Testosteron-Exposition wurde als Zeitvariable zweifach behandelt (Tabelle): Zum einen als dichotome Variable (behandelt/nicht behandelt) mit Beginn des Follow-up ein Jahr nach Aufnahme in die Studie. Zum anderen als fünf kumulative Testosteron-Dosiskategorien mit dem Follow-up-Start ein Jahr nach der ersten Testosteron-Verschreibung. Die mediane Dauer des Follow-up für alle Männer betrug 3,0 Jahre (Bereich, 1 Tag bis 9,8 Jahre).


Primäres und sekundäres Ergebnis waren neu diagnostizierte histologisch abgeklärte aggressive Prostatakarzinome bzw. Prostatakrebs jedweden Schweregrades.

Ergebnisse
Von den 147.593 Männern der Kohorte hatten 58.617 während des Follow-up eine Testosteron-Behandlung begonnen. Insgesamt 313 als aggressiv diagnostizierte Fälle eines Prostatakarzinoms betrafen 190 nicht mit Testosteron behandelte und 123 mit Testosteron behandelte Männer. Prostatakarzinome jedweden Schweregrades waren bei 1.439 Männern diagnostiziert worden. Davon entfielen 848 auf die nicht mit Testosteron behandelten Männer und 591 auf behandelte Männer (Tabelle). In adjustierten Analysen bestand zwischen behandelten und unbehandelten Männern kein Unterschied im Risiko für Prostatakrebs (Hazard Ratio (HR): 0,90; 95% KI 0,81–1,01). Es errechnete sich eine Inzidenzrate von 0,57 pro 1000 Personenjahre bei nicht behandelten bzw. 0,58 pro 1000 Personenjahre bei behandelten Männern (Tabelle).

In vollständig adjustierten Analysen wurde bei den Testosteron-behandelten Männern kein Zusammenhang zwischen erhöhter kumulativer Testosterondosis und erhöhtem Risiko für aggressiven Prostatakrebs ermittelt. Allerdings war die höchste kumulative Testosteron-Dosiskategorie (≥3200 mg) mit einem signifikant niedrigerem Risiko für aggressiven Prostatakrebs assoziiert als die niedrigste Dosiskategorie von 1 bis 399 mg (HR: 0,34, 95% KI 0,18–0,64). Gleiches galt für jede Art Prostatakrebs (HR: 0,72, 95% KI 0,55–0,95).

Sowohl bei topisch als auch bei intramuskulär behandelten Männern bestand gegenüber nicht behandelten Männern kein erhöhtes Risiko für aggressiven Prostatakrebs (adjustiertes HR: 0,92, 95% CI 0,67–1,26 bzw. HR: 0,93; 95% KI 0,68–1,27). Gleiches galt für Prostatakrebs jedweden Schweregrades (adjustiertes HR: 0,85; 95% KI 0,73–1,00 bzw. HR: 0,99; 95% KI 0,86–1,14).

Schlussfolgerungen
Bei den Männern einer großen „inception cohort“ (Anfangskohorte) mit niedrigen Testosteronspiegeln und normalem PSA-Wert, stand der Testosteronausgleich nicht mit erhöhtem Risiko für aggressiven Prostatakrebs oder Prostatakrebs jedweden Schweregrades im Zusammenhang. In vollständig adjustierten Analysen bestand bei Testosteron-behandelten Männern nur insofern eine Abhängigkeit des Risikos für aggressiven und jedweden Prostatakrebs von der kumulierten Testosterondosis, als in der höchsten kumulierten Dosis-Kategorie das Risiko gegenüber der geringsten Risikokategorie jeweils signifikant erniedrigt war.
   
Literatur:
Walsh TJ, Shores MM, Krakauer CA, et al. 2018. Testosterone treatment and the risk of aggressive prostate cancer in men with low testosterone levels. PLOS ONE https://doi.org/10.1371/journal.pone.0199194

 August 2018 Drucken jfs