Ausdauersport-induzierter chronischer Testosteronmangel bei Männern: „Exercise-Hypogonadal Male Condition“

Hintergrund

Die Ausübung von Ausdauersportarten wie Marathon-Läufe, Straßenradsport oder Triathlon erfordert ein immenses Trainingsprogramm. Dabei kann das High-Volume-Ausdauertraining zu einem Übertrainingssyndrom führen, das Athleten der Fähigkeit beraubt, Spitzenleistungen zu vollbringen. Andererseits wirken sich die beständigen Anstrengungen auf hohem Niveau überwiegend positiv auf zahlreiche physiologische Funktionen aus. Allerdings reagiert das endokrine System äußerst empfindlich auf exzessive Belastung durch wettkampfspezifische Trainingsprogramme. Insbesondere sind hormonelle Komponenten betroffen, die mit der Regulierung und Kontrolle der Reproduktionsfunktionen zusammenhängen. Diesbezüglich liegen die meisten Daten zu „athletischer Amenorrhoe“ vor. Aber neuere Erfahrungen machen deutlich, dass zwischen den Geschlechtern Parallelen hinsichtlich der Trainingseffekte in Bezug auf das Reproduktionssystem existieren (Hackney AC, Aggon E, 2018):

Terminologie und Charakteristika betroffener Athleten
Aufgrund einer fehlenden fachsprachlichen Bezeichnung für Ausdauer-trainierte Männer mit niedrigen Testosteronspiegeln im Ruhezustand wurde 2005 von einer Forschergruppe der University of North Carolina der Terminus „Exercise-Hypogonadal Male Condition“ geprägt. Männer, auf die diese Definition zutrifft, weisen eine Reihe übereinstimmender Merkmale und Verhaltensweisen auf (Tabelle).


Kommentar
Männer mit sportinduziertem Hypogonadismus sprechen vermindert auf exogene Stimuli der Leydig-Zellen an. Bei ihnen wurde im Vergleich zu nicht Ausdauer-trainierten Männern bei gleicher Stimulus-Intensität eine um 15%–40% abgeschwächte exogene testikuläre Leydig-Zell-Stimulierung registriert. Bislang ließ sich aber nicht unterscheiden, ob das abgeschwächte Ansprechen durch verminderte glanduläre Rezeptor-Sensitivität bewirkt wird, oder ob eine Störung nachgeordneter steroidogener Prozesse im Rahmen der Testosteron-Synthese vorliegt.

Als wahrscheinlich gilt eine Fehlfunktion oder Störung auf der hypothalamisch-hypophysär-testikulären Achse. Dabei werden Parallelen zur Energieverfügbarkeit bei der „Female Athlete Triad“ angestellt. Es könnte sich darin aber auch ein herabgesetzter Setpoint auf der gonadotropen Achse widerspiegeln, der als erforderliche Minimalmenge des Testosterons in der Zirkulation gilt, um angemessene physiologische Funktionen aufrechtzuerhalten. Zum Beispiel haben Athleten mit Ausdauersportarten im Vergleich mit den meisten Athleten anderer Sportarten eine geringere Muskelmasse.

Die Entwicklung der Exercise-Hypogonadal Male Condition vollzieht sich über ein ausgedehntes Zeitfenster von etlichen Jahren, wobei die Schwelle des Trainingspensums, ab der die Entwicklung eines sportinduzierten Hypogonadismus einsetzt, offensichtlich interindividuell variiert.

Erniedrigte Testosteronspiegel sind bei Athleten mit Exercise-Hypogonadal Male Condition auch im Ruhezustand mit schädigenden Einflüssen auf Testosteron-abhängige physiologische Prozesse verbunden. Bei Frakturen ohne adäquates Trauma besteht bei Ausdauersport treibenden Männern der Verdacht auf Osteoporose, dem durch eine Knochendichtemessung (DEXA) nachgegangen werden sollte.

Schlussfolgerungen
Bei Männern mit sportinduziertem Hypogonadismus werden auch in Ruhephasen typischerweise deutlich erniedrigte Testosteronspiegel gemessen.
   
Literatur:
Hackney AC, Aggon E, 2018. Chronic low testosterone levels in endurance trained men: the exercise-hypogonadal male condition. J Biochem Physiol 1:1.

 Juni 2018 Drucken jfs