Hintergrund
Der Serum-Testosteronspiegel sinkt bei alternden Männern im Bevölkerungsquerschnitt pro Jahr
um ein bis zwei Prozent. Dieser Abfall steht im Zusammenhang mit der Verschlechterung des allgemeinen
Gesundheitszustands wobei insbesondere der Adipositas eine permissive Rolle zukommt. Bei Absinken des
Testosteronspiegels in den insuffizienten Bereich kommt es vielfach zu Einschränkungen der Sexualfunktion,
der Mobilität und der Vitalität. Während in zahlreichen Studien zur Therapie mit Testosteron einhellig positive
Auswirkungen auf die Körperzusammensetzung ermittelt worden sind, waren die Effekte auf die körperliche
Leistungsfähigkeit, die Vita sexualis und die Vitalität nicht einheitlich beurteilt worden.
Zielsetzung
Diesbezüglich wurden drei Prüfungen mit Männern durchgeführt, deren niedrige Testosteronspiegel
keinem anderen ersichtlichen Grund als dem Alter zugeschrieben werden konnten.
Patienten und Methoden
Die Rekrutierung der 790 Teilnehmer erfogte hauptsächlich durch Serienbriefe, Telefoninterviews
mit den Respondern und nachfolgend zwei Terminen in der Klinik. Die Männer mussten 65 Jahre alt sein
und einen durchschnittlichen Testosteronspiegel <2,75 ng/ml haben. Entsprechend der von
ihne angegebenen Defizite wurden die Männer den Prüfungen der Sexualfunktion, der Mobilität
oder der Vitalität (z. T. Mehrfachteilnahme) zugewiesen und mit Testosteron-Gel 1% oder Placebo-Gel behandelt.
Prüfung der Sexualfunktion
Beim Prüfung der Sexualfunktion wurde in erster Linie Veränderung der sexuellen Aktivität anhand der
Frage 4 des Psychosexual Daily Questionnaire (PDQ-Q4) bestimmt. Die Veränderung der PDQ-Q4-Scores
erhöhte sich in der Testosteron- gegenüber der Placebo-Gruppe signifikant (Abb. 1),
wobei das Ausmaß der Erhöhung auf individueller Ebene mit dem Anstieg des Testosteronspiegels korrelierte.
Nach dem Score des Derogatis Interview for Sexual Functioning in Men-II und dem International Index
of Erectile Function hatte die Testosteronsubstitition zudem positive Effekte auf das sexuelle
Verlangen bzw. die erektile Funktion. Dies entsprach auch dem subjektiven Empfinden der Patienten.
Prüfung der körperlichen Leistungsfähigkeit
Die Prüfung der körperlichen Funktion ergab beim Anteil der Männer, deren zurückgelegte Wegstrecke
beim 6-Minuten-Geh-Test um 50 m anwuchs, keinen signifikanten Unterschied zwischen Testosteron- und
Placebo-Gruppe (
Abb. 2). Trendmäßig deutete sich allerdings ein Auseinandergehen der Schere mit
fortschreitender Dauer der Testosteron-Therapie an. Andererseits kann ein Kraftzuwachs der Muskulatur
in erster Linie durch körperliche Aktivität erreicht werden, wobei ein adäquater Testosteronspiegel
den Trainingserfolg unterstützt.
Bei der Bewertung der körperlichen Leistungsfähigkeit anhand der körperlichen Funktionsdomäne (PF-10)
des SF-36 Gesundheitsfragebogens wurde in der Testosteron- gegenüber der Placebo-Gruppe eine signifikante
Erhöhung registriert (p=0,03). Die Prüfung der körperlichen Leistungsfähigkeit wurde auch von den Teilnehmern
der anderen beiden Prüfungen absolviert. Wurden diese in die Analyse einbezogen, ergab sich in allen Tests
eine signifikante Überlegenheit der mit Testosteron substituierten Männer.
Prüfung der Vitalität
Bei der Vitalitätsprüfung wurden die vorgegebenen vier Punkte auf der Functional Assessment of Chronic
Illness Therapy (FACIT)-Fatigue-Skala nicht von einer signifikanten Mehrheit der Männer erreicht.
Allerdings zeigte die Veränderung gegenüber Baseline in der Testosteron-Gruppe eine trendmäßige
Verbesserung (p=0,06). Signifikant positive Effekte der Testosteron- gegenüber der
Placebo-Gruppe wurden beim SF-36-Vitalität-Score, den Positive and Negative Affect Schedule
(PANAS)-Scores und dem Patient Health Questionnaire 9 (PHQ-9)-Depression-Score registriert.
Schlussfolgerungen
Symptomatische Männer im Alter von 65 Jahren mit recht niedrigen Testosteronspiegeln profitieren
bei deren Anhebung in den mittleren Normbereich für 19- bis 40-Jährige von moderat aber signifikant
gesteigerter sexueller Aktivität, leichten Verbesserungen der Stimmungslage und weniger schweren
depressiven Symptomen. Die Vorgaben des 6-Minuten-Geh-Tests wurden von den Teilnehmern der
körperlichen Leistungsprüfung zwar verfehlt, aber sie wurden im Gesamtkollektiv, dass den Geh-Test
ebenfalls absolviert hatte, von den Testosteron-Anwendern signifikant erreicht.
Literatur:
Snyder PJ, Bhasin S, Cunningham GR, et al. 2016.
Effects of testosterone treatment in older men. N Engl J Med 374:611-624.