Für Männer ist das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten höherer als bei prämenopausalen Frauen. Hieraus
wurde vorschnell der Schluss gezogen, bei Frauen schützten Estrogene das Herz und die Gefäße, während
Testosteron bei Männern mit erhöhter kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität im Zusammenhang stehe. Dem
widersprechen in letzter Zeit gewonnene epidemiologische Daten, wonach gerade Männer mit niedrigen
Serum-Androgenspiegeln ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben. Dieser scheinbare Widerspruch führte
auf die Spur, dass die Höhe des HDL-Spiegels nicht das alleinige Kriterium für die atheroprotektive Wirkung
von HDL ist, sondern auch modifizierte HDL-Funktionen eine wichtige Rolle spielen. Dass HDL-Modifikationen
auch durch Testosteron beeinflusst werden, wird aus aktuellen Publikationen deutlich.
HDL-Spiegel allein kein zuverlässiger Prädiktor des kardiovaskulären Risikos
High density lipoprotein (HDL) im Blut schützt vor Atherosklerose und ischämischen Herzkrankheiten. Bei
Frauen findet sich im Mittel ein höherer Serum-HDL-Spiegel als bei Männern. Dementsprechend gelten
höhere HDL-Spiegel generell als kardioprotektiv. Andererseits konnte die Rate an kardiovaskulären
Ereignissen durch medikamentöse Anhebung des HDL-Spiegels nicht gesenkt werden. Aus diesem Grund wurde kürzlich
eine Studie mit Niacin vorzeitig abgebrochen [2011. The Atherothrombosis Intervention in Metabolic syndrome
with low HDL/high triglycerides: impact on Global Health outcomes (AIM-HIGH) trial. Am Heart J 161:538-543].
Ähnlich negative Ergebnisse lieferte eine Prüfung mit der Anhebung des HDL-Spiegels durch Torcetrapib, einem Inhibitor des
Cholesterinester-Transferproteins [1].
HDL übernimmt die Entfernung von Cholesterin aus der Arterienwand
Die atheroprotektive Funktion des HDL beruht im Wesentlichen auf dem Transport überschüssigen Cholesterins aus
den Geweben und Blutgefäßen zur Leber, wo es durch Abbau entsorgt wird. Ist dieser als reverser Cholesterintransport
bezeichnete Prozess gehemmt, entwickeln sich in den Gefäßen atherosklerotische Veränderungen. Für letzteres Risiko
ist die Kapazität von HDL, Cholesterin aus Makrophagen aufzunehmen (cholesterol efflux capacity), ein bestimmender
Faktor – unabhängig von der HDL-Konzentration [2]. Bei einer hohen cholersterol efflux capacity wurde bei gesunden
Probanden eine geringe Intima-Media-Dicke der Karotiden ermittelt, die auf ein vermindertes Atherosklerose-Risiko
hindeutet. Ferner ließ sich in einer Fall-Kontroll-Gruppe aus 793 Patienten [442 mit angiographisch gesicherter
koronarer Herzkrankheit (KHK)] eine hohe cholesterol efflux capacity mit vermindertem KHK-Risiko assoziieren.
Testosteron begünstigt die HDL-induzierte Entfernung von Cholesterin aus der Arterienwand
Exogene Androgene können die Konzentration des HDL-Cholesterins im Blut erniedrigen. Andererseits haben Männer mit
niedrigem Testosteronspiegel ein höheres kardiovaskuläres Risiko als Männer mit einem höheren Testosteronspiegel im
physiologischen Bereich. Solche Befunde, die sich zu widersprechen scheinen, bestätigen die Auffassung, dass beim
HDL "Qualität vor Quantiät" geht, d. h. die HDL-Funktion ist besser geeignet, das kardiovaskuläre Risiko einzuschätzen,
als die HDL-Konzentration. Die Frage ist nur, welche Strukturveränderungen im HDL-Proteinkomplex durch Testosteron
begünstigt werden, und auf welche Weise diese Modifikanten die Funktion von HDL beeinflussen.
Aktuell wurde berichtet, dass akuter Testosteronentzug über 28 Tage durch Gabe des GnRH-Antagonisten Acylin bei jungen
gesunden männlichen Probanden den HDL-Spiegel und die cholesterol efflux capacity signifikant ansteigen lässt [3]. Das
lässt sich als atheroprotektive Reaktion interpretieren. Interessant wären zum Vergleich Ergebnisse bei älteren
Prostatakrebs-Patienten unter einer langzeitigen Androgen-Deprivationstherapie, deren kardiovaskuläres Risiko
bekanntlich deutlich erhöht ist.
Testosteronsubstitution bei gesunden älteren Männern mit Late-onset-Hypogonadismus (LOH)
Testosteronsubstitution bei älteren gebrechlichen Männern mit hoher Belastung durch Komorbidität führte zu einer
erhöhten Rate an kardiovaskulären Ereignissen [4]. Demgegenüber wurden in einer Studie mit gesunden
LOH-Patienten, die ein intermediate frail oder ein frail syndrome aufwiesen, nur die positiven Effekte einer Testosteronbehandlung
registriert, wobei keine Zunahme der kardiovaskulären Ereignisse auftrat. [5].
Der Einfluss einer Testosteron-Substitutionstherapie auf die Zusammensetzung des HDL-Proteinkomplexes und die HDL-vermittelte cholesterol
efflux capacity wurden aktuell bei 23 älteren, hypogonadalen Männern (Alter: 51-83 Jahre; basaler Testosteronspiegel: ≤2,8 ng/ml)
untersucht [6].
Die Patienten erhielten über drei Monate eine Behandlung mit 1%igem AndroGel mit oder ohne den 5α-Reduktase-Inhibitor Dutasterid.
Eine Veränderung des HDL-Spiegels im Serum wurde nicht registriert. Im HDL-Proteinkomplex ergab die Analyse eine Vermehrung der Paraoxonase-1
und der Fibrinogen-α-Kette, während zugleich das Apolipoprotein A-IV verringert war. Das exogene Testosteron hatte keinen Einfluss
auf die cholesterol efflux capacity. Keine Unterschiede ergaben sich bei den Männern mit oder ohne Dutasterid-Behandlung, so dass die
Effekte als unabhängig von der Reduktion des Testosterons zu Dihydrotestosteron angesehen werden können.
Obige Befunde verdeutlichen, dass die Anhebung des Testosteronspiegels bei hypogonadalen Männern zu veränderten HDL-Milekülkomplexen
führt, dass es dabei aber zu keinem Absinken der cholesterol efflux capacity kommt. Allerdings fehlen bislang funktionelle Korrelate
des Testosteroneinflusses auf das HDL-Molekül, so dass die Rolle des Testosterons im HDL-Metabolismus in Verbindung mit dem kardiovaskulären
Risiko weiterer Aufklärung bedarf.
Literatur:
[1] Barter PJ, Caulfield M, Eriksson M, et al. 2007.
Effects of torcetrapib in patients at high risk for coronary events.
N Engl J Med 357:2119-2122.
[2] Khera AV, Cuchel M, de la Llera-Moya M, et al. 2011.
Cholesterol efflux capacity, high-density lipoprotein function, and atherosclerosis.
N Engl J Med 364:127-135.
[3] Rubinow KB, Tang C, Hoofnagle AHN, et al. 2012.
Acute sex steroid withdrawl increases cholesterol efflux capacity and HDL-associated clusterin in men.
Steroids 77:454-460.
[4] Basaria S, Coviello AD, Travison TG, et al. 2010.
Adverse events associated with testosterone administration.
N Engl J Med 363:109-122.
[5] Srinivas-Shankar U, Roberts SA, Connolly MJ, et al. 2010.
Effects of testosterone on muscle strength, physical function, body composition, and quality of life in
intermediate-frail and frail elderly men: a randomized, double-blind, placebo-controlled study.
J Clin Endocrinol Metab 95:639-650.
[6] Rubinow KB, Vaisar T, Tang C, et al. 2012.
Testosterone replacement in hypogonadal men alters the HDL proteome but not HDL cholesterol efflux capacity.
J Lipid Res [Epub ahead of print].