Gemütsverfassung, Auftreten und Lebensqualität
Hintergrund
Eine weitere Metaanalyse berücksichtigte 16 Studien mit insgesamt 944 Männern. Die Auswirkung der TRT auf die Grundstimmung erreichte mit einer Effektgröße von 4,6 (p <0,0001) eine insgesamt positive Bewertung. Diese erwies sich als altersabhängig: Eine Subgruppe Männer unter 60 Jahre kam auf eine Effektgröße von 5,3 (p <0,0001). Andererseits war die Effektgröße bei Männern älter als 60 Jahre nicht statistisch signifikant. Die Effektgröße bei hypogonadalen Männern betrug 4,2 (p <0,0001). Dagegen waren die Ergebnisse bei eugonadalen Männern nicht statistisch signifikant.
Beide erwähnten Metaanalysen finden bei den Männern mit unterschwelligen Depressionen eine stärkere Effektgröße als bei jenen mit schweren depressiven Episoden.
Hypogonadismus kann die Lebensqualität und die Gemütsverfassung erwiesenermaßen negativ beeinflussen.
Die Substitution des Testosterons wird als Möglichkeit zur Verbesserung dieser Parameter angesehen.
Sind solche psychologischen Symptome allerdings die einzigen Probleme eines Patienten, wird die Anwendung einer TRT
zur Verbesserung von Lebensqualität und Gemütsverfassung bei Männern mit Hypogonadismus nicht zwingend empfohlen.
Depression
Die Bewertung der Depressionsindizes in einer Metaanalyse aus 11 Placebo- und einer aktiv kontrollierten Studie mit insgesamt 852 Teilnehmern
ergab für jede TRT eine im Vergleich mit Placebo deutlich verbesserte depressive Symptomatik (SMD -0.23; p <0,001).
Eine neuere Random Effects-Metaanalyse aus 27 randomisierten kontrollierten Studien mit 1.890 Männern hat gezeigt, dass TRT anders als Placebo mit
einer signifikanten Verminderung depressiver Symptome assoziiert ist.
Deren Effekte übertrafen die Wirksamkeitsschwelle pharmakologischer Antidepressiva, die in den Exzellenz-Leitlinien des National Institute for Health and Care
für eine behandlungsresistente Depression empfohlen werden.
Angst
Die mutmaßlichen Zusammenhänge von Testosteron mit Angststörungen und ihren sich in Phobien und Panikstörungen steigernden Varianten wurden noch nicht extensiv erforscht.
Eine allgemeine Tendenz zur Entwicklung ungerichteter Furcht (unfocussed anxiety) sind im Zusammenhang mit erniedrigten Testosteron-Konzentrationen beschrieben worden.
Ferner wurde in einer Auswahl von 3.413 selbstständig lebenden Männern eine inverse Korrelation zwischen
mit der Hopkins-Symptom-Checkliste-25 ermittelten Angstsymptomen und dem Gesamt- und freien Testosteron ermittelt.
Desgleichen ließ sich bei einer Auswahl von 2.042 Männern mit Sexualstörungen eine Korrelation zwischen Testosteron mit unbegründeter und phobischer Angst erkennen.
Eine klinische Studienkohorte älterer Männer (n=296) wies einen ausgeprägten Zusammenhang der
mit dem Brief Symptom Inventory und dem Patient Health Questionnaire-9 (PHQ-9) ermittelten Angstmerkmale mit der genetisch modulierten Androgenaktivität
über den CAG-Repeat-Polymorphismus des Androgenrezeptor-Gens aber nicht direkt mit dem Serum-Testosteronspiegel auf.
Andererseits könnte die Anxiolyse auch durch Testosteron bedingt sein.
Als Ventile der Anxiolyse, die über Testosteron-gesteuerte Mechanismen ausgeübt werden, lassen sich Wachsamkeit vor Gefahr,
Verarbeitung von Belohnung, allgemeiner Angstabbau und Stressbelastbarkeit in Betracht ziehen.
Aggression
Aus Kastrations- und Hormonersatz-Studien mit Tieren ist bekannt, dass Testosteron als Triebfeder von Aggressivität fungieren kann.
Was Menschen anbetrifft, ist der Komplex Testosteron/Aggression höchstwahrscheinlich nicht statisch, sondern schwankt vielmehr als Reaktion
auf die aus dem Umfeld herrührenden Anzeichen der Herausforderung.
Solche von Herausforderungen abhängigen Schwankungen beeinflussen sehr stark das situationsspezifische Aggressionsverhalten.
Aus Metaanalysen geht hervor, dass die Baseline-Testosteronspiegel schwach mit Aggression assoziiert sind.
Ferner sind Erhöhungen der Testosteron-Konzentration positiv mit Aggression assoziiert.
Selbsteinschätzung
Testosteron-Effekte auf Verhalten werden durch den Androgenrezeptor-CAG-Repeat-Polymorphismus moduliert.
Das zeigte sich in der Selbsteischätzung von 308 unabhängigen, selbstbestimmten Männern anhand einer genetisch-psychopharmakologischen Methode.
Die Männer mit kürzeren CAG-Repeats profitierten stärker von der Testosteron-bewirkten Durchsetzungsfähigkeit.
In ähnlicher Weise waren kurze CAG-Repeats und höhere Testosteronspiegel bei jüngeren Männern mit dem Ausmaß der Impulsivität assoziiert:
Verhaltensbezogene Impulsivität, kognitive Impulsivität und Impulsivität im Sinne einer fehlenden Planung.
Höhere Testosteronspiegel und kürzere CAG-Repeats im Androgenrezeptor-Gen sind bei Männern auch mit Selbstvertrauen und Wettbewerbsfähigkeit assoziiert.
❏ Auch wenn noch nicht alle Befunde zuverlässig und belastbar sind, ist es heute gesichert, dass ausgeprägte Effekte auf Gemütsverfassung und Verhalten durch endogene Testosteronspiegel und externe Anwendung der Sexualsteroide ermöglicht werden können.
❏ Solche Effekte sind wahrscheinlich durch den Androgenrezeptor-CAG-Repeat-Polymorphismus vermittelt.
❏ Bei Männern gehören Wohlbefinden und Lebensqualität in das Wirkspektrum des Testosterons.
Dezember 2020 | Autor: jfs |