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Mount Everest Studie
Sildenafil führt bei alveolärer Hypoxie zu Gefäßerweiterungen in der Lunge


Extrembergsteiger, die die höchsten Gipfel der Erde erklimmen, haben Modellcharakter für Patienten mit Lungenhochdruck. Denn bei einem Aufenthalt in großen Höhen kommt es unter Sauerstoffmangelbedingungen zu morphologischen Veränderungen an Herz und Lunge, die den Widerstand im Niederdruckkreislauf erhöhen. Um zu untersuchen, ob Sildenafil, der Wirkstoff von Viagra®, geeignet ist, den Lungenhochdruck zu senken, wurde vom Lungenzentrum der Justus-Liebig-Universität Gießen unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Grimminger im Basislager des Mount Everest eine Höhenstudie durchgeführt [1].


Extrembergsteiger als Modell für Lungenkranke

    Extrembersteiger akklimatisieren sich in einer extrem lebensfeindlichen Umgebung. Durch den Sauerstoffmangel in ein paar Tausend Meter Höhe verengen sich die pulmonalen Arterien. Innerhalb kurzer Zeit reagieren die Gefäße auf die alveoläre Hypoxie mit einer Verdickung ihres Wandbaus. Der Querschnitt der Lumina wird infolge Proliferation der glatten Muskelzellen weiter eingeengt. Durch den erhöhten Gefäßwiderstand steigt der Druck im Lungenkreislauf, dem sich das Herz durch Zunahme seiner Muskelmasse und Pumpkraft anpaßt. Bei einer sich allmählich einstellenden Überbelastung des rechten Herzens nimmt die körperliche Belastbarkeit ab. Ein längerer Aufenthalt in Höhen oberhalb 5500 m kann daher auf Dauer nicht überlebt werden.

    Solche Veränderungen des Lungengefäßsystems, die sich bei gesunden Bergsteigern in großen Höhen innerhalb von Wochen wie im Zeitraffertempo abspielen, entwickeln sich bei Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen über Jahre und Jahrzehnte und sind dann irreversibel. Der Widerstand im Lungenkreislauf kann auf mehr als das 20fache ansteigen.

    Da chronisch kranken Lungenpatienten die Teilnahme an anstrengenden Tests nur schwer zuzumuten ist, können höhenadaptierte Extrembergsteiger für pharmakologische Untersuchungen des Lungenhochdrucks einspringen.

Rationale für Sildenafil bei pulmonalen Hypertonie
    Der Lungenhochdruck ist eine bislang nicht heilbare, potentiell tödliche Erkrankung. Die Therapie bei pulmonaler Hypertonie zielt darauf ab, den Druck in den arteriellen Lungengefäßen zu senken. Hierfür eignen sich gefäßerweiternde Substanzen, zu denen auch die bei erektiler Dysfunktion eingesetzten Phosphodiesterase-5 (PDE-5)-Inhibitoren zählen. Diese sind in der Lage, eine Relaxation der glatten Muskelzellen in den arteriellen Gefäßen des Lungenkreislaufs herbeizuführen, ohne zugleich entsprechende Wirkungen an den systemischen Blutgefäßen zu entfalten.

Intensivstation am Mount Everest in 5400 Meter Höhe
    Die gießener Wissenschaftler ließen über 500 kg medizinische Ausrüstung in das auf 5400 m gelegene Basislager am Mount Everst schleppen und errichteten in einem Zelt eine komplette mobile Intensivstation. Trotz der hohen Temperaturunterschiede von ca. 40°C am Tage und bis zu -20°C in der Nacht konnte der Versuchsaufbau, mit dem im Labor in Gießen gearbeitet wurde, unter den Extrembedingungen beibehalten werden.

Erhöhung der Sauerstoffaufnahme durch Sildenafil
    Den teilnehmenden Bergsteigern wurde entweder 50 mg Sildenafil oder ein Plazebo verabreicht. Anschließend unterzogen sie sich einem Leistungstest auf dem Fahrradergometer, der bis an die Grenzen ihres Leistungsvermögens ging. Während der Tortur wurde mittels eines tragbaren Doppler-Herzechographiegerät der Druck in ihren Lungenarterien, die Auswurfleistung ihres Herzens und der Sauerstoffgehalt ihres Blutes bestimmt.

    Durch die Höhenforschung am Mount Everest wurde eindeutig bewiesen, daß Sildenafil in der Lage ist, einen durch Sauerstoffmangel verursachten Lungenhochdruck zu senken und hierdurch die Sauerstoffaufnahme in der Lunge zu erhöhen. Die körperliche Leistungsfähigkeit wird insgesamt deutlich gesteigert (Abb.). Anders als bei Patienten mit Lungenhochdruck, sind die Veränderungen in den Lungen von Bergsteigern, die sich einer Sauerstoffmangelsituation nur vorrübergehend aussetzen, nach der Rückkehr ins Flachland reversibel.

Bedeutung für die Therapie des Lungenhochdrucks
    Die Erkenntnisse aus der Mt. Everest Studie und anderer Untersuchungen unter weniger spektakulären Bedingungen waren Anlaß, die Anwendbarkeit von Sildenafil in der Therapie des Lungenhochdrucks in klinischen Studien zu prüfen. Hierbei wurde in einer Phase-III-Studie anhand des 6-Minuten-Gehtests eine signifikante Zunahme der körperlichen Belastbarkeit festgestellt. Teilweise konnten Patienten eine bis zu 50 m längere Wegstrecke zurücklegen.

    Die positiven Ergebnisse aus den klinischen Studien waren Anlaß, den Antrag bei der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zu stellen, Sildenafil auch für die Indikation pulmonale Hypertonie zuzulassen. Für diese Patientengruppe wird Viagra® zu Revatio®.

Literatur:
[1] Ghofrani HA, Reichenberger F, Kohlstall MG, et al. 2004. Sildenafil increased exercise capacity during hypoxia at low altitudes and at Mount Everest base camp: a randomozed, double-blind, placebo-controlled crossover study. Ann Intern Med 141:169-177.

April 2005 Druckversion jfs
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