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PSA-Anstiegsgeschwindigkeit
Der gleiche Schwellenwert für Männer aller Altersstufen?


Über den hohen Stellenwert des Prostata-spezifischen Antigen (PSA)-Tests zur Prostatakrebsfrüherkennung besteht in der Urologie weitgehender Konsens. Doch die allenthalben beklagten Unzulänglichkeiten der Methode, lassen auch ihre eifrigsten Verfechter gegenüber Kritikern bisweilen in die Defensive geraten. Den einen ist die Art wie der Test im Praxisalltag zumeist gehandhabt wird zu wenig sensitiv, den anderen mangelt es an Spezifität. In dieser Situation kann man nicht durch Verschieben des Schwellenwertes nach unten oder oben beiden Parteien gerecht werden. Deshalb hat man schon früh versucht, andere Variable wie das Alter des Patienten, die Prostatagröße, das freie PSA und die Geschwindigkeit mit der der PSA-Wert ansteigt in die Beurteilung einzubeziehen. Zahlreiche Urologen erachten die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit in Verbindung mit der Serum-PSA-Konzentration als effektive Methode zur Maximierung des positiv und negativ prädiktiven Wertes von PSA-Bestimmungen. Aktuelle Arbeiten befassen sich mit der Höhe des für die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit festzulegenden Schwellenwertes und damit, ob diesbezüglich altersbezogene Schwellenwerte anzustreben seien.



Wege zur Steigerung des prädiktiven Wertes von PSA-Bestimmungen

    Die einfache Regel, nach der Männer mit einem höheren Serum-PSA-Spiegel mit größerer Wahrscheinlichkeit bereits ein Prostatakarzinom entwickelt haben als Männer mit einem niedrigeren Serum-PSA-Spiegel, ist als statistische Aussage unbestritten gültig. Doch wo soll der Grenzwert gesetzt werden, ab dem es ratsam ist, genauer nachzusehen, d.h. dem Patienten zur Biopsie zu raten? Mit dem weithin gebräuchlichen Einheitsschwellenwert von 4,0 ng/ml ist niemand so richtig glücklich. Zu viele Männer mit einem PSA-Wert unter 4,0 ng/ml haben dennoch ein Prostatakarzinom, und zu viele Männer darüber werden biopsiert und haben kein Prostatakarzinom. Auch wenn der Schwellenwert nach oben oder unten korrigiert wird, bleibt das grundlegende Problem bestehen. Denn PSA ist nun mal kein Prostatakrebs-spezifischer Marker und sein vermehrtes Auftreten im Blut kann auch zahlreiche Ursachen haben, die nicht auf malignes Wachstum zurückzuführen sind. Realistischerweise kann der prädiktive Wert des PSA-Tests daher auch nur bis zu einer bestimmten Grenze optimiert werden. Diese Grenze gilt es allerdings auszuloten.

    Deshalb wird schon fast seit Anbeginn der PSA-Ära versucht, den einmalig oder wiederholt gemessenen PSA-Werten mehr Information abzugewinnen, d.h. ihren prädiktiven Wert zu steigern.

    Bereits zu Beginn der 1990er Jahre wurden Untersuchungen zur Altersabhängigkeit des Serum-PSA-Spiegels gestartet. Ein wesentlicher Gesichtspunkt dabei war die Tatsache, dass die Prostata zahlreicher älterer Männer vergrößert ist, und dass bei Vorliegen einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) offenbar vermehrt PSA ins Blut übertreten kann. In verschiedenen Arbeitsgruppen wurden in teils recht heterogenen Populationen so genannte altersspezifische Referenzbereiche bestimmt, anhand derer dann altersbezogene PSA-Schwellenwerte definiert wurden. Diese sollten den altersunabhängigen Einheitsschwellenwert von 4,0 ng/ml ersetzen, haben es allerdings nicht zur Konsensus-Empfehlung geschafft.

    Parallel zur Entwicklung der altersspezifischen Schwellenwerte wurden zugleich Untersuchungen zur PSA-Anstiegsgeschwindigkeit unternommen. Die Rationale hierfür ist, dass sich die Menge pro Zeiteinheit ins Blut übertretenden PSA kaum verändert. Erst wenn Prostataerkrankungen wie BPH, Prostatitis und Prostatakrebs auftreten, nimmt die „Undichtigkeit“ der Prostata zu. Im Falle malignen Wachstums wird ein fast exponentieller Anstieg erwartet. Bereits 1992 hatten Carter et al. [1] den Wert von 0,75 ng/ml/Jahr als Schwellenwert definiert, ab dem es ratsam sei, eine Biopsie vorzunehmen. Seit etlicher Zeit werden von nachfolgenden Untersuchung immer häufiger Zweifel angemeldet, ob dieser Schwellenwert nicht zu hoch angesetzt sei.

Longitudinale Veränderungen des Serum-PSA-Spiegels als Wegweiser zur Biopsie-Empfehlung
    Berger et al. [2] untersuchten, wie sich der PSA-Wert bei Patienten ohne nachweisbares Prostatakarzinom über einen Zehnjahreszeitraum entwickelt, und verglichen den Anstieg mit dem bei Prostatakrebs-Patienten innerhalb von zehn Jahren vor der Diagnosestellung. Ihren Daten aus der großen Tiroler Feldstudie zufolge, hatten Männer, bei denen anhand einer Biopsie ein Prostatakarzinom diagnostiziert wurde, bereits zehn Jahre vor der Diagnose einen signifikant höheren PSA-Wert als ihre Altersgenossen, bei denen sich kein Prostatakarzinom entwickelt hatte. Bei 353 Prostatakrebs-Patienten wurde für den Zeitraum von zehn Jahren vor der Diagnose anhand einer Biopsie eine PSA-Anstiegsgeschwindigkeit von 0,409 ng/ml/Jahr ermittelt. Innerhalb dieses Zeitraums war der PSA-Wert bei diesen Männern von 2,28 ng/ml auf 6,37 ng/ml angestiegen (Abb. 1). Hierbei korrelierte die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit deutlich positiv mit dem Gleason-Score und dem pathologischen Stadium. Bei den 2.462 Männern ohne Prostatakarzinom betrug die durchschnittliche PSA-Anstiegsgeschwindigkeit innerhalb von zehn Jahren lediglich 0,03 ng/ml/Jahr.

    Anhand der Ergebnisse von Berger et al. [2] lässt sich erkennen, dass in den Werten für die Serum-PSA-Konzentration und die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit im Prinzip die gleiche Information steckt. Männer, die mit der Diagnose Prostatakrebs konfrontiert werden, haben sowohl den höheren Serum-PSA-Spiegel als auch die höhere PSA-Anstiegsgeschwindigkeit. Zumindest heben sich die jeweiligen Mittelwerte deutlich von denen ab, die für die Männer ohne Prostatakrebs ermittelt wurden. Das scheint für das Zeitintervall, in dem sich ein Prostatakarzinom entwickelt, nur logisch zu sein, da sonst weder die Serum-PSA-Konzentration noch die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit überhaupt prädiktiven Wert in Bezug auf ein Prostatakarzinom besäßen. Zugleich machen die Daten von Berger et al. [2] aber auch deutlich, dass ältere Männer mit Prostatakrebs offenbar bereits als jüngere Männer einen höheren PSA-Wert haben als diejenigen, die kein Prostatakarzinom entwickeln, und daran als mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko belastet zu erkennen sein sollten.

    Die von Berger et al. [2] gemessenen Daten reichen zwar nicht so weit zurück, aber eine „Augenmaß-Extrapolation“ suggeriert, dass der Anstieg des PSA bei späteren Prostatakrebs-Patienten in jüngeren Jahren – zwar auf höherem Niveau, aber mit ähnlich geringer Steilheit erfolgt wie bei den Männern ohne Prostatakrebs. In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu erforschen, warum sich ein Prostatakarzinom offenbar in zahlreichen Fällen bereits lange vor seiner Entstehung durch einen erhöhten Serum-PSA-Spiegel „ankündigt“.


    Repräsentierte der in Abbildung 1 dargestellte beschleunigte PSA-Anstieg die Daten eines bestimmten Patienten mit Prostatakrebs, der seinen PSA-Wert in regelmäßigen Abständen hat kontrollieren lassen, hätte die Dia­gnosestellung bereits etwa im achten Jahr erfolgen können, jedenfalls wenn der Schwellenwert für die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit niedriger angesetzt wird als 0,75 ng/ml/Jahr. Der besagte Graph zeigt zudem, dass sich die Entwicklung des frühen Prostatakarzinoms vielfach über einen längeren Zeitraum abspielt, in dem der PSA-Wert die 4,0 ng/ml noch nicht erreicht hat. Um dieses Zeitfenster, in dem die besten Heilungschancen bestehen, nicht zu „verschlafen“, sind Empfehlungen für niedrigere Schwellenwerte für die Serum-PSA-Konzentration und die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit als 4,0 ng/ml bzw. 0,75 ng/ml/Jahr in der Diskussion, bzw. werden vielfach bereits angewandt.

Schwellenwert der PSA-Anstiegsgeschwindigkeit für jüngere Männer deutlich unter 0,75 ng/ml/Jahr festlegen?
    In einer aktuellen Studie kommen Loeb et al. [3] zu der Schlussfolgerung, dass ein Schwellenwert für die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit von 0,75 ng/ml/Jahr für Männer unter 60 Jahren wahrscheinlich zu hoch angesetzt ist. Nach ihren Berechnungen blieben damit 48% der Prostatakarzinome unentdeckt. Bereits bei einer PSA-Anstiegsgeschwindigkeit von 0,4 ng/ml/Jahr ist bei jüngeren Männern die Wahrscheinlichkeit signifikant erhöht, dass dem ein Prostatakarzinom zugrunde liegt. Mit diesem Schwellenwert wurde im Studienkollektiv von insgesamt 6.844 Männern eine 67%ige Sensitivität, eine 81,2%ige Spezifität, ein 16%iger positiv prädiktiver Wert und ein 98%iger negativ prädiktiver Wert ermittelt (Tabelle). Der Schwellenwert von 0,4 ng/ml/Jahr für Männer unter 60 Jahren wurde anhand von Receiver Operating Characteristics (ROC)-Analysen ermittelt (Abb. 2). Mit ihm ergibt sich gegenüber benachbarten Werten die größte „Area under the Curve“ (AUC) und somit die höchste diskriminative Fähigkeit, um in dieser Altersgruppe Prostatakarzinome zu entdecken.

    In einer weiteren kürzlich publizierten Studie haben Sun et al. [4] PSA-Werte bei Männern unter 50 Jahren gemessen und anhand der Daten verschiedene Schwellenwerte für die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit getestet. Die mittlere Serum-PSA-Konzentration der jungen Männer ohne Prostatakarzinom betrug 0,7 ng/ml bei einer PSA-Anstiegsgeschwindigkeit von 0,7 ng/ml/Jahr. Für diejenigen, bei denen Prostatakrebs diagnostiziert wurde, betrugen die entsprechenden Werte 1,3 ng/ml bzw. 1,83 ng/ml/Jahr. Diese Werte liegen bemerkenswerterweise einerseits deutlich unterhalb und andererseits oberhalb der traditionellen Schwellenwerte von 4,0 ng/ml bzw. 0,75 ng/ml/Jahr. Die Autoren kamen anhand von ROC-Analysen dennoch zu dem Schluss, dass eine PSA-Anstiegsgeschwindigkeit von 0,75 ng/ml/Jahr für Männer unter 50 Jahren zu hoch angesetzt sei.


Hoher initialer PSA-Wert hohe PSA-Anstiegsgeschwindigkeit hohe Mortalitätsrate
    Anhand der Anstiegsgeschwindigkeit des PSA lassen sich nicht nur Prostatakarzinome entdecken, sondern die Steilheit des PSA-Anstiegs kann auch Hinweise auf den wahrscheinlichen Verlauf bzw. Ausgang der Krankheit geben. Beträgt die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit mehr als 2 ng/ml/Jahr, ist dies statistisch signifikant mit einem verringerten tumorspezifischen Überleben nach radikaler Prostatektomie oder externer Bestrahlung verbunden [5, 6].

    In einer neuen Arbeit gingen Yu et al. [7] der Frage nach, ob Prostatakrebs­-Patienten mit einer höheren basalen Serum-PSA-Konzentration, von der aus der Anstieg erfolgte, die „kritische“ PSA-Anstiegsgeschwindigkeit von 2 ng/ml/Jahr – bezogen auf das Jahr vor der Diagnosestellung – mit höherer Wahrscheinlichkeit erreichen als Prostatakrebs-Patienten mit einer niedrigen basalen Serum-PSA-Konzentration. Ihre Ergebnisse bestätigen das voll und ganz. Bei einer basalen Serum-PSA-Konzentration von 2,5, 2,6-4,0, 4,1-10,0 und >10,0 ng/ml betrug der Anteil der Männer mit einer höheren PSA-Anstiegsgeschwindigkeit als 2,0 ng/ml/Jahr 1%, 14%, 31% bzw. 74% (p < 0,0001). In Abbildung 3 ist die Verteilung der Studienteilnehmer mit nachgewiesenem Prostatakarzinom die über der Grenze von 2,0 ng/ml/Jahr PSA-Anstiegsgeschwindigkeit liegen auf die verschiedenen Bereiche der initialen Serum-PSA-Konzentration als Boxplot dargestellt.


Die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit steht also in direktem Zusammenhang mit der Serum-PSA-Konzentration. Diese Korrelation galt für alle Altersgruppen von unter 60 bis über 70 Jahre. Das lässt den Schluss zu, dass die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Männern als Tumormarker Verwendung finden kann.

Literatur:
[1] Carter HB, Pearson JD, Metter EJ, et al. 1992. Longitudinal evaluation of prostate-specific antigen levels in men with and without prostate cancer. JAMA 267:2215-2220.
[2] Berger AP, Deibl M, Steiner H, et al. 2005. Longitudinal PSA-Changes in men with and without prostatic cancer: assessment of prostate cancer risk. Prostate 64:240-245.
[3] Loeb S, Roehl KA, Catalona WJ, Nadler RB. 2007. Prostate specific antigen velocity threshold for predicting prostate cancer in young men. J Urol 177:899-902.
[4] Sun L, Moul JW, Hotaling JM, et al. 2007. Prostate-specific antigen (PSA) and PSA velocity for prostate cancer detection in men aged <50 years. BJU Int 99:753-757.
[5] D´Amico AV, Chen MH, Roehl KA,Catalona WJ. 2007. Preoperative PSA velocity and the risk of death from prostate cancer after radical prostatectomy. N Engl J Med 351:125-135.
[6] D´Amico AV, Renshaw AA, Sussman B, et al. 2007. Pretreatment PSA velocity and risk of death from prostate cancer following external beam radiation therapy. JAMA 294:440-447.
[7] Yu X, Loeb S, Roehl KA, et al. 2007. The association between total prostate specific antigen concentration and prostate specific antigen velocity. J Urol 177:1298-1302.

Verfasser:
PD Dr. med. Hans-Joachim Luboldt, Dr. med. Martin Ditges, beide Dinslaken
April 2007 Druckversion (pdf) hjl
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