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Endokrinologische Faktoren bei Sarkopenie und Frailty-Syndrom

Inwieweit sich der fortschreitende Verlust an Muskelmasse und Muskelkraft bei Älteren zu einem klinisch relevanten Problem (Sarkopenie) auswächst, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Der endokrine Beitrag bietet Möglichkeiten zur hormonalen Intervention. Insbesondere die Testosteronsubstitution kann zu messbaren Verbesserungen der Fett-Muskel-Relation und Stärkung der Muskelkraft beitragen. Der altersassoziierte Abbau von Muskelmasse ist oftmals bedeutsamer Vorbote des Auftretens von Behinderungen im fortgeschrittenen Alter. Sarkopenie gilt als gewichtigster Risikofaktor für die Entwicklung eines Frailty-Syndroms.

Interindividuell sehr unterschiedlich ausgeprägter Verlust an Muskelmasse im Alter
Ursprünglich wurde mit Sarkopenie ausschließlich der klinisch bedeutsame Verlust an Muskelmasse bezeichnet. Neuerdings wird der Begriff auch auf zelluläre Prozesse wie Entzündungsgeschehen, mitochondriale Dysfunktion und hormonelle Veränderungen sowie auf Mobilitätseinschränkungen und erhöhtes Sturzrisiko ausgedehnt, sofern sie mit dem Muskelverlust im Zusammenhang stehen.

Bei jungen Männern trägt die Muskulatur ca. 50% zur Gesamtkörpermasse bei. Dieser Anteil sinkt mit dem Alter oftmals auf nur noch etwa 25% bei den 75- bis 80-jährigen. Aufgrund des damit verbundenen des Kraftverlustes kommt es zur allmählichen Verlangsamung der Bewegungen und dem erhöhten Risiko zu stürzen.

Sarkopenie im Bezug zur endokrinen Funktion
Zu den endokrinologischen Faktoren, die zu übermäßigem Verlust an Muskulatur beitragen, gehören der Mangel an anabolen Hormonen (Testosteron, Wachstumshormon und Dehydroepiandrosteron).

Testosteron erhöht die Synthese der Muskelproteine. Indem es an den Androgenrezeptor bindet und dieser hierdurch mTOR aktiviert, wird die Proteinsynthese in den synzytialen Muskelfasern stimuliert. Darüber hinaus bewirkt Testosteron anti-apoptotische Effekte. Es schützt vor Wasserstoffperoxid (H2O2)-induzierter Apoptose.

Der deutliche Verlust an Muskelmasse ist auch unter einer intermittierenden ADT (neun Monate Initialbehandlung) nach 21 und 33 Monaten nicht wieder rückgängig zu machen. Selbst während einer zweijährigen therapiefreien Phase wurde eine weitere ungünstige Entwicklung allenfalls vermieden. Nur bei Männern, deren Testosteronspiegel sich völlig regeneriert hatte, ließ sich Verbesserungen der Körperzusammensetzung registrieren (Spry et al., 2013).

In Interventionsprüfungen konnten bislang nur Testosteron, Vitamin D und in sehr begrenztem Maße GH/Insulinartiger Wachstumsfaktor-1 (IGF-1) Wirksamkeit bei Sarkopenie nachweisen. Insbesondere hat sich die Einnahme von Präparaten mit DHEA, das wohl eher als Prohormon einzuordnen ist, in Prüfungen als wertlos erwiesen.

Sarkopenie als Wegbereiter des Frailty-Syndroms
Die Diagnose Frailty-Syndrom ist per definitionem abgesichert, wenn drei der folgenden Kriterien erfüllt sind: (I) Unbeabsichtigter Gewichtsverlust, (II) Reduzierte Muskelkraft, (III) subjektiv empfundener Erschöpfungszustand, (IV) verlangsamte Gehgeschwindigkeit und (V) Abnahme der körperlichen Aktivität mit reduziertem Energiebedarf. Bei körperlicher Gebrechlichkeit ist die physiologische Reserve multipler Organsysteme weitgehend erschöpft, so dass negative Ereignisse wie Stürze, Behinderungen, Hospitalisation und Tod vorprogrammiert sind.

In einer prospektiven Kohortenstudie wurde untersucht, ob niedrige Testosteronspiegel im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Frailty-Syndroms stehen (Hyde et al., 2010). Es wurden 3.616 Männer im Alter von 70 bis 88 Jahren hinsichtlich Gebrechlichkeit bewertet. Eine erneute Einstufung nach ca. 6 Jahren konnte noch 1.586 dieser Männer im Alter zwischen 76 und 93 Jahren erfassen. Sowohl bei der Basisuntersuchung als auch beim Follow-up erwies sich ein niedriger Spiegel an freiem Testosteron als signifikanter Prädiktor für Gebrechlichkeit. Im Rahmen der Basisuntersuchung wurden 548 Männer (15,2%) als mit Frailty (drei Defizite) eingestuft worden. Zu diesem Zeitpunkt war eine und jede weitere negative Standardabweichung des Spiegels an Gesamttestosteron oder freien Testosterons mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit für Frailty verbunden (ein Odds Ratio von jeweils 1,23 für Gesamt- und 1,29 für freies Testosteron). Beim Follow-up waren 364 Männer (23%) mit Frailty behaftet, wobei nur das freie Testosteron prädiktive Eigenschaften hatte. Von den Komponenten der Frail-Skala waren insbesondere Muskelkraft und Gewichtsverlust mit einem niedrigen Spiegel an freiem Testosteron assoziiert. Dieser Zusammenhang wird allgemein mit Sarkopenie als dem Wegbereiter des Frailty-Syndroms erklärt.

Testosteroneffekte bei Patienten mit Frailty- oder Pre-Frail-Syndrom
Das Frailty-Syndrom ist im Wesentlichen durch herabgesetzte Belastbarkeit, Kraftlosigkeit und multiple Morbidität gekennzeichnet. Mithilfe longitudinaler Messungen war untersucht worden, inwieweit die Prävalenz und Progression von Gebrechlichkeit mit Veränderungen Hormonkonzentrationen im Zusammenhang stehen. An einer großen australischen Studie waren 1.645 Teilnehmer im Alter von 70+ Jahren beteiligt. Androgene, Estrogene, Gonadotropine und SHBG zeigten in der unkorrigierten Querschnittsanalyse mit beiden Frailty-Indizes jeweils eine hoch signifikante Assoziation. Bei Männern mit einem Gesamttestosteronspiegel in der untersten Quintile errechnete sich ein 2,2-fach höheres Risiko vermehrter Gebrechlichkeit als für Männer mit einem Gesamttestosteronspiegel in der obersten Quintile. Ähnliche Zusammenhänge ergaben sich für das freie Testosteron, Dihydrotestosteron, Estradiol und Estron. Bei der Abnahme des Gesamttestosterons und des freien Testosterons um eine Standardabweichung innerhalb von zwei Jahren kam es zu einer 1,2 bis 1,3-fachen Zunahme der Schwere von Gebrechlichkeit (Travison et al., 2011).

Die Stärkung der Muskelkraft und eine, wenn auch nur geringgradige Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit wurde durch Testosteronsubstitution in einigen kleinen Studien bei gebrechlichen älteren Männern ermittelt. Eine Bestätigung der Ergebnisse resultiert aus einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie, deren 274 Teilnehmer unter unabhängig lebenden Männern mit Frailty-Syndrom oder Pre-Frail-Syndrom, einem Spiegel an Gesamttestosteron 12 nmol/l und einem Alter ab 65 Jahren rekrutiert wurden. Bei den Männern, die sechs Monate Testosteron erhalten hatten, wurde gegenüber den Männern in der Placebo-Gruppe der Verlust an Beinmuskelkraft verhindert und es verbesserten sich die Körperzusammensetzung, die körperliche Leistungsfähigkeit (trendmäßig) sowie die Lebensqualität (Srinivas et al., 2010).

❏ Ein niedriger Spiegel an freiem Testosteron erwies sich als signifikanter Prädiktor für Gebrechlichkeit.

❏ In einigen kleineren Studien mit gebrechlichen älteren Männern wurde durch Testosteronsubstitution eine Stärkung der Muskelkraft und eine, wenn auch nur geringgradige, Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit ermittelt.

❏ In einem großen Kollektiv (n=1.645) hatten Männern mit einem Gesamttestosteronspiegel in der untersten Quintile ein 2,2-fach höheres Risiko vermehrter Gebrechlichkeit als Männer mit einem Gesamttestosteronspiegel in der obersten Quintile.

Park WT, Shon O-J, Kim GB, 2023. Multidisciplinary approach to sarcopenia: a narrative review. J Yeungnam Med Sci doi: 10.12701/jyms.2023.00724.
Hyde Z, Flicker L, Almeida OP, et al. 2010. Low free testosterone predicts frailty in older men: the Health in Men study. J Clin Endocrinol Metab 95:3165–3172.
Travison TG, Nguyen A-H, Naganathan V, et al. 2011. Changes in reproductive hormone concentrations predict the prevalence and progression of the frailty syndrome in older men: the Concord Health and Ageing in Men Project. J Clin Endocrinol Metab 96:2464–2474.
Spry NA, Taaffe DR, England PJ, et al. 2013. Long-term effects of intermittent androgen suppression therapy on lean and fat mass: a 33-month prospective study. Prostate Cancer Prostatic Dis 16:67–72
Srinivas-Shankar U, Roberts SA, Conolly MJ, et al. 2010. Effects of testosterone on muscle strength, physical function, body composition, and quality of life in intermediate-frail and frail elderly men: a randomized, double-blind, placebo-controlled study. J Clin Endocrinol Metab 95:639–650.

November 2023 Red.

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