Anhand einer retrospektiven Anfangs-Kohortenstudie (Inception Cohort Study) wurde der Zusammenhang zwischen
mäßig langer Behandlung mit Testosteron und neu aufgetretenem aggressivem Prostatakrebs untersucht (Walsh TJ, et al. 2018):
Das Studienkollektiv bestand aus Veteranen im Alter von 40 bis 89 Jahren, bei denen in den
Jahren 2002 bis 2011 innerhalb von sechs Monaten ein niedriger Testosteron-Spiegel und ein
normaler prostataspezifisches Antigen (PSA)-Wert bestimmt worden waren. Zur Vereinheitlichung
der Anfangsbedingungen erfolgte die Aufnahme in die Kohorte jeweils zum Zeitpunkt des erstmals
ermittelten niedrigen Testosteronspiegels oder dem des berechtigenden PSA-Tests,
je nachdem welcher Zeitpunkt der spätere war.
Die Testosteron-Exposition wurde als Zeitvariable zweifach behandelt (Tabelle):
Zum einen als dichotome Variable (behandelt/nicht behandelt) mit Beginn des Follow-up ein Jahr
nach Aufnahme in die Studie. Zum anderen als fünf kumulative Testosteron-Dosiskategorien mit dem
Follow-up-Start ein Jahr nach der ersten Testosteron-Verschreibung. Die mediane Dauer des Follow-up
für alle Männer betrug 3,0 Jahre (Bereich, 1 Tag bis 9,8 Jahre).
Von den 147.593 Männern der Kohorte hatten 58.617 während des Follow-up eine Testosteron-Behandlung
begonnen. Insgesamt 313 als aggressiv diagnostizierte Fälle eines Prostatakarzinoms betrafen 190
nicht mit Testosteron behandelte und 123 mit Testosteron behandelte Männer. Prostatakarzinome
jedweden Schweregrades waren bei 1.439 Männern diagnostiziert worden. Davon entfielen 848 auf
die nicht mit Testosteron behandelten Männer und 591 auf behandelte Männer (
Tabelle).
In adjustierten Analysen bestand zwischen behandelten und unbehandelten Männern kein Unterschied
im Risiko für Prostatakrebs (Hazard Ratio (HR): 0,90; 95% KI 0,81–1,01). Es errechnete sich eine
Inzidenzrate von 0,57 pro 1000 Personenjahre bei nicht behandelten bzw. 0,58 pro 1000 Personenjahre
bei behandelten Männern (
Tabelle).
In vollständig adjustierten Analysen wurde bei den Testosteron-behandelten Männern kein Zusammenhang
zwischen erhöhter kumulativer Testosterondosis und erhöhtem Risiko für aggressiven Prostatakrebs ermittelt.
Allerdings war die höchste kumulative Testosteron-Dosiskategorie (≥3200 mg) mit einem signifikant
niedrigeren Risiko für aggressiven Prostatakrebs assoziiert als die niedrigste Dosiskategorie
von 1 bis 399 mg (HR: 0,34, 95% KI 0,18–0,64). Gleiches galt für jede Art von Prostatakrebs
(HR:0,72, 95% KI 0,55–0,95).
Sowohl bei topisch als auch bei intramuskulär behandelten Männern bestand gegenüber nicht behandelten
Männern kein erhöhtes Risiko für aggressiven Prostatakrebs (adjustiertes HR: 0,92, 95% CI 0,67–1,26
bzw. HR: 0,93; 95% KI 0,68–1,27). Gleiches galt für Prostatakrebs jedweden Schweregrades
(adjustiertes HR: 0,85; 95% KI 0,73–1,00 bzw. HR: 0,99; 95% KI 0,86–1,14).
Bei den Männern einer großen „inception cohort“ (Anfangskohorte) mit niedrigen Testosteronspiegeln
und normalem PSA-Wert, stand der Testosteronausgleich nicht mit erhöhtem Risiko für aggressiven Prostatakrebs
oder Prostatakrebs jedweden Schweregrades im Zusammenhang. In vollständig adjustierten Analysen bestand
bei Testosteron-behandelten Männern nur insofern eine Abhängigkeit des Risikos für aggressiven und
jedweden Prostatakrebs von der kumulierten Testosterondosis, als in der höchsten kumulierten Dosis-Kategorie
das Risiko gegenüber der geringsten Risikokategorie jeweils signifikant erniedrigt war.