Treue Seele oder notorischer Fremdgänger?
Neigung zum Seitensprung schon in utero durch Testosteron geprägt
Hintergrund und Zielsetzung
Die Paarungsstrategie der Säugetiere ist zumeist entweder polygyn (ein Männchen paart sich mit mehreren Weibchen) oder
promiskuitiv (Männchen und Weibchen paaren sich mit mehreren Partnern). Etwa 3% aller Säugetierarten sind monogam, d.h.
während der Paarungszeit pflanzt sich ein Männchen nur mit einem einzigen Weibchen fort. Beim Menschen wurden
bei der Analyse der Paarungsschemata hingegen stets Merkmale von mono und polygamen Arten gefunden [1]. Hierfür ließ sich
bisher keine stichhaltige Erklärung finden. Andererseits erscheint es plausibel, beim Menschen von einer Kombination aus kurzfristiger
(promiskuös) und langfristiger (monogam) Erscheinungsform der Paarbildung auszugehen.
Anhand verhaltensbezogener Indizes (Soziosexualität) und anatomischer Indizes (pränatale Testosteron-Exposition, die sich
im Verhältnis der Fingerlängen 2F:4F widerspiegeln) wurden von forschern der Oxforder Universität zwei große Datensätze auf
die Hypothese überprüft, wonach es unterscheidbare Phänotypen
der Paarungsstrategie sowohl bei Männern als auch bei Frauen gibt [2].
Methoden
Zur Ermittlung der Soziosexualität bei amerikanischen(68 Männer, 187 Frauen) und britischen (134 Männer, 186 Frauen) Teilnehmergruppen
per Online-Befragung diente der überarbeitete (revised) Sociosexual Orientation Inventory (SOI-R).
Die Daten zum 2F:4F-Verhältnis entstammen den Photokopien der rechten Hand aus einer früheren Untersuchung der
kaukasischen Bevölkerung Englands. In der Studie wurde ein Datensatz aus 1.314 Teilnehmern (572 Männer, 742 Frauen)
analysiert.
Bisherige Befunde
Das Längenverhältnis von Zeige- zu Ringfinger (2F:4F) gilt als Biomarker für pränatale Testosteroneinflüsse.
Es handelt sich um ein sexualdimorphes Merkmal, das in der frühen Entwicklungsperiode des Menschen festgelegt wird
[3].
Bei Männern ist das 2F:4F-Verhältnis kleiner als bei Frauen. Die 2F:4F-Relation steht im umgekehrten Verhältnis zur
Anzahl sexueller Partner und in direktem Verhältnis zu einer positiven Einstellung gegenüber Gelegenheitssex mit verschiedenen
Partnern
[4].
Kulturübergreifende Untersuchungen lassen weithin erkennen, dass Männer typischerweise einen soziosexuell freieren
Lebenswandel als Frauen führen [5]. Verschiedentlich war ohne wirklichen Beweis davon ausgegangen worden,
dass monogam und promiskuös zwei eigenständige männliche Phänotypen repräsentieren. Bei Frauen wurde dem weniger
wissenschaftlich Beachtung beigemessen.
Aktuelle Ergebnisse
Anhand des χ
2-Tests bestätigte sich, dass der männlichen und weiblichen Soziosexualität in beiden Datensätzen
(amerikanischer, britischer) jeweils eine bimodale Verteilung zugrunde liegt. Mittels Cluster-Weighted Modeling ließ sich das
Vorliegen zweier Phänotypen bei beiden Geschlechtern – eine mit eingeschränkter und eine mit
uneingeschränkter soziosexueller Orientierung – untermauern.
Aus der statistischen Beweisführung lässt sich resümieren, dass sowohl Männer als auch Frauen jeweils zwei reproduktionsphysiologische
Phänotypen aufweisen – allerdings mit einer unterschiedlichen Verteilung. Während bei Männern Promiskuität gegenüber Monogamie
im Verhältnis 57:43 überwiegt, ist das bei Frauen mit 47:53 umgekehrt.
Auch für die 2F:4F-Daten ergab sich mit dem χ2-Test eine zugrunde liegende bimodale Verteilung (Abb.),
die sich allerdings nur für Männer als statistisch signifikant erwies.
Die proportionale Verteilung monogam/promiskuös in den
Datensätzen des biologisch determinierten 2F:4F-Verhältnisses bei Männern und Frauen weist auf einen geringfügig höheren Anteil
der promiskuösen Phänotypen als beim physiologisch verhaltensbezogenen SOI-Index (62% bzw. ca. 50%).
Schlussfolgerungen
Mit Datensätzen zur soziosexuellen Orientierung bei Männern und Frauen wurde von britischen Forschern
unter Anwendung eines Gaußschen Mischmodells jeweils eine innergeschlechtliche bimodale Verteilung des Verhältnisses
von Monogamie zu Promiskuität erfasst.
Während bei Männern Promiskuität vorherrschte, war bei Frauen eine Bevorzugung der Monogamie nachzuweisen.
Der Anteil an Promiskuität lag bei beiden Geschlechtern geringfügig höher, wenn das Verhältnis der Länge von
Zeige- zu Ringfinger als biologischer Marker für Testosteron-Einfluss in utero statt der Soziosexualität
in der Statistik berücksichtigt wurde.
Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass bei beiden Geschlechtern zwei eigenständige Typen mit
unterschiedlichen Paarungsstrategien auftreten.
Literatur:
[1] Nelson E, Rolian C, Cashmore L, Shultz S. 2011. Digit ratios predict polygyny in early apes,
Ardipithecus, Neanderthals and early modern humans but not in Australopithecus.
Proc R Soc B 278:1556–1563.
[2] Wlodarski R, Manning J, Dunbar RIM, 2015.
Stay or stray? Evidence for alternative mating strategy phenotypes in both men and women.
Biol Lett 11:20140977. http://dx.doi.org/10.1098/rsbl.2014.0977
[3] Lutchmaya S, Baron-Cohen S, Raggatt P, et al. 2004.
2nd to 4th digit ratios, fetal testosterone and estradiol. Early Hum Develop 77:23–28.
[4] Rammsayer T, Prasse A, Stahl J, 2005.
On the associations between second to fourth digit ratio and sex-role preferences and sociosexual orientation in adult males.
ISSID 2005, Adelaide South Australia, July 18-22, 2005.
[5] Schmitt DP, 2005.
Sociosexuality from Argentina to Zimbabwe: a 48-nation study of sex, culture, and strategies of human mating.
Behav Brain Sci 28:247-275.