Das aktuell vorgestellte dynamische Modell einer texanischen Arbeitsgruppe bringt gagegen die
sich bei zahlreichen Männern mit dem Älterwerden einstellende Veränderung des Testosteronspiegels
ins Spiel
[2].
Das dynamische Modell enthält zwei Schlüsselkomponenten: Der Umfang des mit dem Altern im Zusammenhang
stehenden Testosteronabfalls und der individuelle Schwellenwert zur Aufrechterhaltung der normalen
Prostatafunktion. Das PCa-Risiko steigt an, wenn der Testosteronspiegel unter einen Schwellenwert
absinkt, und die Prostatazellen die Grenze ihrer kompensatorischen Fähigkeit erreichen.
Deren Anpassung an niedrigere Testosteronspiegel ist beeinträchtigt, so dass in der Prostata letztlich
die Karzinogenese ausgelöst wird (
Abb).
Nach dem dynamischen Modell ist davon auszugehen, dass jeder den Testosteronspiegel beeinflussende
Faktor auch eine Rolle in der PCa-Ätiologie spielt. Bekanntermaßen haben körperliche Aktivität und
Adipositas entgegengesetzte Effekte auf den Testosteron-Status. Andererseits gibt es hinreichend
Indizien für die Verringerung des PCa-Risikos bei angemessener körperlicher Aktivität, sowie für
erhöhtes PCa-Risiko bei Adipositas
[3]. Auf analoge Weise erklärten sich Befunde, dass UV-Strahlung
invers mit der PCa-Inzidenz im Zusammenhang steht und Vitamin D vor PCa schützt. Vitamin D kann bei
Männern die Testosteronproduktion erhöhen
[4].
Mit dem dynamischen Modell lassen sich auch Rassenunterschiede der PCa-Inidenz erklären, deren Ursache
bislang im Dunkeln liegt. Bekannt ist insbesondere, dass Amerikaner mit schwarzer Hautfarbe häufiger
als Weiße mit einer PCa-Diagnose konfrontiert sind. Andererseits weisen zahlreiche Indizien darauf hin,
dass bei Schwarzen die Testosteronspiegel höher sind als bei Weißen, dann aber rascher abnehmen und
ab etwa 60 Jahren gleich hoch sind. Somit wäre der stärker ausgeprägte Testosteronabfall bei schwarzen
Amerikanern nach dem dynamischen Modell eine einleuchtende Erklärung für die höhere PCa-Inzidenz.
Der Androgenrezeptor steht mit zahlreichen Prozessen, die an der Entwicklung von PCa beteiligt sein
können wie Zellzyklusregulierung, Adhäsion, Apoptose, und Remodellierung der extrazellulären Matrix
in direktem Zusammenhang. Nach dem dynamischen Modell kommt es in diesen Prozessen bei Unterschreitung
eines Testosteron-Schwellenwerts zu Veränderungen. Dass sich das Ansprechen von Prostatazellen
bzw. Androgenrezeptoren auf hormonelle Einflüsse verändern kann, zeigt z.B. die Entwicklung von
hormonsensitivem zu hormonrefraktärem PCa unter Testosterondeprivation.
Die Verifizierung der dynamischen Theorie bedingte die aufwendige Ausrichtung epidemiologischer Studien
zur Beziehung zwischen endogenen Testosteronspiegeln und PCa-Risiko, bei der das Ausmaß des altersassoziierten
Testosteronabfalls und nicht deren Höhe zu einem bestimmten Zeitpunkt die zentrale Rolle spielt.
Im Prinzip wäre die Verifizierung der dynamischen Theorie auch eine weitere Bestätigung der Sicherheit
der Testosteron-Ausgleichstherapie bei hypogonadalen Männern. Inwieweit dann der Zufuhr exogenen Testosterons
auch ein protektiver Effekt beigemessen werden kann, ist momentan nicht bekannt.
Die Autoren sind überzeugt, mit ihrem dynamischen Modell die beobachtete Altersstruktur der
Prostatakrebs-Inzidenz und die scheinbaren Widersprüche der epidemiologischen Ergebnisse zu Testosteron
und Prostatakrebs-Risiko befriedigend erklären zu können. Zudem sind Rassenunterschiede in der Prostatakrebs-Inzidenz,
mit Prostatakrebs im Zusammenhang stehende Risikofaktoren und die Rolle des Testosterons bei der
Prostatakrebs-Progression mit ihrem Konstrukt vereinbar.