Symptome des unteren Harntrakts (LUTS) sind vielfach mit erheblichen psychischen und physischen Beeinträchtigungen verbunden
und wirken sich hierdurch negativ auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität aus. Bei älteren Männern sind LUTS vielfach
irritative oder obstruktive Verursachungen einer benignen Prostatahyperplasie (BPH). Andererseits steht die Schwere von LUTS
nicht unbedingt im Zusammenhang mit dem Prostatavolumen, und LUTS treten auch bei älteren Männern ohne BPH auf. In den letzten
Jahren begann man verstärkt nach möglichen Zusammenhängen zwischen Testosteronmangel und LUTS zu fahnden, zumal vorläufige
Ergebnisse auf eine Besserung der Symptome bein hypogonadalen Männern unter einer Testosteron-Sunstitutionstherapie hinweisen.
Testosteronmangel in Verbindung mit LUTS
Epidemiologische Daten lassen einen deutlichen Zusammenhang zwischen metabolischem Syndrom mit abdominaler Adipositas,
erektiler Dysfunktion (ED) und LUTS erkennen. Diese Gesundheitsprobleme gehen bei älteren Männen vielfach mit einem
erniedrigten Serum-Testosteronspiegel einher.
Nach einem Zusammenhang zwischen Testosteron und LUTS wurde zunächst in Querschnittsstudien mit heterogenen
Patientenkollektiven bezüglich Umfeld, Komorbiditäten und Sexualhormonstatus gefahndet. Dementsprechend wurden keine
einheitlichen Ergebnisse erzielt. In einer größeren Studie mit 278 Teilnehmern ergab sich eine negative
Beziehung zwischen freiem wie auch bioverfügbarem Testosteron und dem International Prostate Symptom Score (IPSS)
sowie dessen Subscores für Blasenentleerungsstörungen. Dieser Zusammenhang blieb auch nach Korrekturen für Alter,
Prostatavolumen, hoch sensitives C-reaktives Protein und Bestimmung der Insulinresistenz mittels Homöostase-Modell
(HOMA-IR) signifikant. Darüber hinaus bestand eine signifikante Assoziation zwischen freiem wie auch bioaktivem
Testosteron und dem Vorliegen schwerer LUTS (IPSS Score ≥20; Abb. 1) [1].
Die Ergebnisse einer großen Querschnittsstudie mit 13.487 Männern (mittleres Alter: 61 Jahre) im Rahmen eines
Screening während der Prostate Cancer Awareness Week in den USA wurde kein Zusammenhang zwischen Gesamttestosteron
und LUTS ermittelt [2]. Der mittlere Testosteronspiegel im Studienkollektiv betrug 4,0 ng/ml.
Bei 65% der Männer lagen leichte LUTS, bei 30% mäßige LUTS und bei 5% schwere LUTS vor. In einer Population von
122 Männern mit symptomatischer BPH wurde sogar ein Zusammenhang von Gesamttestosteron und LUTS, nicht aber von freiem
Testosteron und LUTS registriert [3].
Abfall des Testosteronspiegels mit LUTS assoziiert
In einer Untersuchung mit 648 Männern wurde über eine mittlere Beobachtungszeit von 8 Jahren analysiert,
wie Veränderungen von LUTS, der maximalen Harnflussrate und des Prostatavolumens mit den Baseline-Sexualhormonspiegeln
und deren altersabhängigen Veränderungen assoziiert sind. Wie erwartet sank der Spiegel an Gesamttestosteron mit zunehmendem
Alter. Die Abnahme war bei den ältesten Studienteilnehmern am stärksten ausgeprägt. Bei jüngeren Männern sank
hingegen das bioverfügbare Testosteron rascher. Die Veränderung des Estradiolspiegels zeigte kein erkennbares
altersabhängiges Muster. [4].
Mit zunehmendem Alter stieg das Prostatavolumen linear an. Diesbezüglich bestand jedoch kein Zusammenhang mit den anfänglichen
Spiegeln an Gesamttestosteron. Bei schnellerem Abfall des Gesamttestosterons kam es zu einer deutlichen Verschlechterung
der LUTS und einer verringerten maximalen Harnflussrate. Dies hatte keinen Einfluss auf das Prostatavolumen.
Höhere Ausgangsspiegel an Estradiol und ein rascher Abfall des Estradiols standen in Verbindung mit einer schnelleren Zunahme
von LUTS und Abnahme der maximalen Harnflussrate.
Ein Studienkollektiv mit 158 Männern, von denen eine Bestimmung der Serum-Testosteronkonzentrationen vorlag (mittleres
Alter bei Probenabnahme: 58 Jahre), wurde im Mittel über 20 Jahre beobachtet. Teilnehmer mit einem höheren Spiegel
an bioverfügbarem Testosteron hatten in der Folgezeit ein 56% niedrigerer Risiko für LUTS als Männer mit Testosteronmangel [5].
Nykturie in Verbindung mit niedrigem Testosteronspiegel
In einer aktuellen Studie wurden Zusämmenhänge zwischen Sexualhormonen und Speichersymptomen wie insbesondere
der Häufigkeit von Nykturie-Episoden bei Männern mit BPH-verursachten LUTS untersucht [6]. Der
IPSS-Subscore für Speichersymptome war positiv mit dem Alter und negativ mit dem Spiegel an Gesamttestosteron im
Serum korreliert. Kein signifikanter Zusammenhang bestand zwischen IPSS Score und freiem Testosteron oder Estradiol.
Bei Patienten mit ≥4 Nykturie-Episoden pro Nacht lag ein signifikant niedrigerer Spiegel an Gesamttestosteron
vor als bei Patienten mit ≤3 Nykturie-Episoden (Abb. 2). Außerdem bestand ein signifikanter
Zusammenhang zwischen Gesamttestosteron und der Schwere von LUTS. Die Autoren glauben, dass sich endogenes Testosteron
positiv auf die Funktion des unteren Harntrakts auswirkt, und dass Testosteronmangel möglicherweise durch häufige
Nykturie-Episoden bewirkt wird.
Testosteronsubstitution bei Hypogonadismus und LUTS
Bei einem Zusammenhang zwischen LUTS und dem Serum-Testosteronspiegel stellt sich die Frage, inwieweit sich durch
einen Testosteronausgleich bei symptomatisch hypogonadalen Männern auch LUTS lindern lassen. In einer diesbezuglichen
Untersuchung wurden 41 ältere Männer mit Symptomen eines Late-onset-Hypogonadismus (LOH) und LUTS drei Monate mit
Testosteron-Gel behandelt [7]. Nach Normalisierung des Spiegels an freiem Testosteron im Serum ließen sich deutliche
Verbesserungen verschiedener Parameter auf der Aging Male Symptom (AMS)-Skala, der 5-Domänen-Variante des International
Index of Erectile Function (IIEF) Scores sowie aller IPSS-Domänen feststellen. Bezüglich der LUTS wurde insbesondere
eine Besserung der Blasenentleerungsstörung registriert.
Ähnlich positive Ergebnisse hinsichtlich der Linderung von LUTS nach Ausgleich eines Testosteronmangels wurden in
einem Studienkollektiv von 95 hypogonadalen älteren Männern (Serum-Testosteronspiegel 5,9 bis 12,1 mmol/l) mit LOH und
einem metabolischen Syndrom erreicht [8]. Neben einer Besserung des metabolischen Syndroms kam es zu einer
signifikanten Verringerung des IPSS-Score und des Residualharns.
Zuvor waren bereits in zwei kleinen Pilotstudien Effekte einer Testosteronsubstitution bei LUTS-Patienten mit
symptomatischem LOH getestet worden [9, 10]. Hierbei hatte sich eine Besserung der LUTS jeweils mittels IPSS Score und
der AMS-Skala nachweisen lassen.
Literatur:
[1] Chang IH, Oh SY, Kim SC, 2009.
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[2] Tandberg DJ, O´Donnell C, Hughes A, Crawford ED, 2010.
Total testosterone not associated with lower urinary tract symptoms in a prostate cancer screening population.
J Urol 183:(Suppl):e629-e630.
[3] Favilla V, Cimino S, Castelli T, et al. 2010.
Relationship between lower urinary tract symptoms and serum levels of sex hormones in men with symptomatic benign prostatic
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[4] St. Sauver JL, Jacobson DJ, McGree ME, et al. 2011.
Associations between longitudinal changes in serum estrogen, testosterone, and bioavailable testosterone and changes in benign
urological outcomes. Am J Epidemiol 173:787-796.
[5] Trifiro MD, Parsons JK, Palazzi-Churas K, et al. 2009.
Serum sex hormones and the 20-year risk of lower urinary tract symptoms in community-dwelling older men. BJU Int 105:1554-1559.
[6] Kim MK, Zhao C, Kim SD, et al. 2012.
Relationship of sex hormones and nocturia in lower urinary tract symptoms induced by benign prostatic hyperplasia.
Aging Male [Epub ahead of print].
[7] Amano T, Imao T, Takemae K, et al. 2010.
Testosterone replacement therapy by testosterone ointment relieves lower urinary tract symptoms in late onset
hypogonadism patients. Aging Male 13:242-246.
[8] Haider A, Gooren LJ, Padungtod P, Saad F, 2009.
Concurrent improvement of the metabolic syndrome and lower urinary tract symptoms upon normalisation of plasma testosterone levels in
hypogonadal elderly men. Andrologia 41:7-13.
[9] Kalinchenko S,m Vishnevskiy EL, Koval AN, et al. 2008.
Beneficial effects of testosterone administrations on symptoms of the lower urinary tract in men with late-onset hypogonadism:
a pilot study. Aging Male 11:57-61.
[10] Karazindiyanoglu S, Cayan S, 2008.
The effect of testosterone therapy on lower urinary tract symptoms/bladder and sexual function in men with symptomatic
late-onset hypogonadism. Aging Male 11:146-149.