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Kallmann-Syndrom
Genetische Ursachen der olfakto-genitalen Störung


Bereits in Jahr 1856 waren Maestre de San Juan bei der Autopsie eines 40-jährigen Mannes dessen sehr kleine Hoden, Mikropenis und fehlende Riechkolben aufgefallen. Fast ein Jahrhundert später berichtete im Jahre 1944 der in Deutschland geborene amerikanische Psychiater Franz Josef Kallmann über drei Familien, bei deren Mitgliedern gehäuft eunuchoider Habitus und fehlender Geruchssinn gemeinsam vorkamen. Die offensichtliche Vererbbarkeit dieser Merkmale ließ auf eine genetische Ätiologie schließen.

Als man später in der Lage war, im Urin Gonadotropine zu bestimmen, wurde die gonadale Komponente des Kallmann Syndroms als eine Form des hypogonadotropen Hypogonadismus erkannt. Nach heutigem Kenntnisstand beruht dieser auf einem angeborenen Defekt der Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH)-Sekretion. Durch die fortschreitende Erforschung der genetischen Ursachen des Kallmann-Syndroms versteht man immer besser, wie es zu der olfakto-genitalen Störung kommt.


Männer häufiger betroffen als Frauen

    Das Kallmann-Syndrom ist per Definition ein hypogonadotroper Hypogonadismus, der in Verbindung mit Anosmie bzw. Hyposmie auftritt. Allerdings kann die Ausprägung der beiden Merkmale sehr variabel sein und vielfach kommen weitere neurologische und nicht neurologische Störungen hinzu.

    Beim Kallmann-Syndrom handelt es sich um eine selten vorkommende genetische Störung, deren Prävalenz oft nicht getrennt von Fällen des isolierten idiopathischen hypogonadotropen Hypogonadismus (IHH) ermittelt wurde. Neueren Angaben zufolge tritt das Kallmann-Syndrom bei einem von 8.000 Männern auf, während das Verhältnis bei den Frauen 1:40.000 beträgt [1]. Dieses ungleich auf beide Geschlechter verteilte Erkrankungsrisiko gab lange Zeit Rätsel auf und findet – wie am Ende des Artikels dargelegt wird – erst durch neueste Forschungsergebnisse eine hypothetische Erklärung.

Ausbleibende pubertäre Entwicklung als Leitsymptom
    Meist werden Knaben mit Kallmann-Syndrom erst auffällig, wenn die Pubertät auf sich warten lässt oder die sexuelle Entwicklung unvollständig bleibt. Als Ursache hierfür ist das Ausbleiben der GnRH-Sekretion aus dem Hypothalamus erkannt worden. Wird die Krankheit erst nach dem 16. Lebensjahr erkannt, haben sich aufgrund des Hypogonadismus zumeist bereits eunuchoide Skelettproportionen herausgebildet.

    Die diagnostische Abgrenzung des Kallmann-Syndroms bzw. des IHH gegenüber einer konstitutionellen Entwicklungsstörung gestaltet sich schwierig. Nachdem zunächst deutlich subnormale Werte an FSH, LH und Testosteron ermittelt wurden, kann zur differentiellen Abklärung ein GnRH-Test (100 mg) nach vorausgegangener 36-stündiger Stimulation mit pulsatilem GnRH gemacht werden. Beim Kallmann-Syndrom und IHH erfolgt die Induktion der Gonadotropine zumeist träger als bei der konstitutionellen Entwicklungsstörung.

    Kernpunkt der Behandlung beim Kallmann-Syndrom ist der lebenslange Ausgleich des Testosteronmangels, durch den insbesondere das Osteoporoserisiko gesenkt wird.

    Männer mit Kallmann-Syndrom sind infertil. Doch läßt sich Fertilität mit gutem Erfolg durch eine Behandlung mit Gonadotropinen oder mit pulsatilen GnRH-Gaben herstellen. Bei einigen Patienten kann es allerdings zwei Jahre oder länger dauern, bis die volle Spermienproduktion in Gang kommt.

Migationsdefekt während der Embryonalentwicklung
    Während der frühen Embryonalentwicklung werden die GnRH-Neuronen im Epithel der Riechplakode angelegt und wandern von dort aus entlang der zentralen Fortsätze des Nervus terminalis ins Gehirn. Auf der Migrationsstrecke lassen sich die Nervenfasern mit Antikörpern gegen Zelladhäsionsmoleküle markieren [2].

    Im Hypothalamus verteilen sich die nur etwa 1.000 GnRH-Neuronen, ohne sich in einer Kerngruppe zu organisieren. Trotzdem bilden sie in ihrer Gesamtheit den GnRH-Pulsgenerator, dessen koordinierte, episodische GnRH-Freisetzung unter anderem als Taktgeber der testikulären Testosteron-Freisetzung fungiert.

    Beträchtliche genotypische und phänotypische Heterogenität

      Das Kallmann-Syndrom tritt mehrheitlich sporadisch und mit einer erheblich geringeren Inzidenz auch familiär auf. Die involvierten Gene sind X-gekoppelt, autosomal dominant und autosomal rezessiv, so dass von einer erheblichen genotypischen und phänotypischen Heterogenität auszugehen ist.

      Aber auch innerhalb einer miteinander verschwägerten Sippe können einzelne Personen das klassische Kallmann-Syndrom ausbilden, andere eine IHH und wieder andere eine isolierte Anosmie. Selbst bei eineiigen männlichen Zwillingen haben sich unterschiedliche phänotypische Ausprägungen des Kallmann-Syndroms nachweisen lassen.

      Die Mehrheit der daraufhin untersuchten Fälle von familiärem Kallmann-Syndrom lassen sich auf eine autosomal dominante oder autosomal rezessive Vererbung zurückführen. Vermutlich wird auch das sporadische Auftreten der Krankheit mehrheitlich durch autosomale Gen-Mutationen verursacht [3].

    X-Chromosomale Form des Kallmann-Syndroms
      Für die X-gekoppelte Form des Kallmann-Syndroms wird das Gen KAL-1 verantwortlich gemacht. Das zugehörige Proteinprodukt Anosmin-1 ist ein extrazelluläres Matrixprotein, das nach Sequenzanalysen vermutlich eine Domäne besitzt, die als Proteinase-Inhibitor fungiert und mehrere weitere, die Zelladhäsion vermitteln.

      Anosmine haben sich im Lauf der Evolution kaum verändert. Daher kann man sogar an Invertebraten wie der Nematode Caenorhabditis elegans (Abb.) am homologen Gen von KAL-1 untersuchen, wie sich Mutationen auf neuronales Wachstum auswirken [4].



      Aus den Untersuchungsergebnissen kann geschlossen werden, dass Anosmin-1 benötigt wird, damit die sprossenden Axone des Riechnervs ihren Weg zum Riechkolben finden. Kommt diese Verbindung nicht zustande, führt das zur Aplasie/Hypoplasie des Riechkolbens wie sie beim Kallmann-Syndrom gefunden wird. In ähnlicher Weise hat die fehlende Verbindung zwischen Riechepithel und Hypothalamus auch zur Folge, dass die embryonal in der Riechplakode angelegten GnRH-Neuronen nicht ins Gehirn gelangen können.

      Obwohl die Entstehung der olfakto-genitalen Symptomatik beim Kallmann-<Syndrom somit recht gut verstanden wird, verrät der Anosmin-Mechanismus nichts darüber, auf welche Weise die gelegentlich begleitenden Entwicklungsstörungen wie z.B. eine einseitige Nierenagenesie oder eine Lippen-Gaumen-Spalte zustande kommen.

    Autosomal dominante Form des Kallmann-Syndroms
      Neuerdings gibt es Hinweise darauf, dass der Fibroblasten-Wachstumsfaktor (FGF) bei der Ausbildung eines Kallmann-Syndroms eine Rolle – unter Umständen sogar die zentrale Rolle – spielt. Auf Chromosom 8 wurden bei Kallmann-Patienten dominante Mutationen im Gen für den FGF-Rezeptor-1 identifiziert, die den Verlust der Rezeptorfunktion zur Folge haben [5].

      Die Verbindung zum Kallmann-Syndrom ergibt sich aus Hinweisen, dass Anosmin-1, das Gen-Produkt von KAL-1, für die Reaktion von FGF mit dem FGF-Rezeptor-1 erforderlich ist. Darüber hinaus wird angenommen, dass sich KAL-1 partiell der X-Inaktivierung entzieht und somit bei Frauen mehr Anosmin-1 als bei Männern bebildet wird. Das wäre auch eine Erklärung für die erhöhte Prävalenz des Kallmann-Syndroms bei Männern.

    Literatur:
    [1] Hu Y, Tanriverdi F, MacColl GS, Bouloux P-MG. 2003. Kallmann´s syndrome: molecular pathogenesis. Int J Biochem Cell Biol 35:1157-1162.
    [2] Schwanzel-Fukuda M, Crossin KL, Pfaff DW, et al. 1996. Migration of luteinizing hormone-releasing hormone (LHRH) neurons in early human embryos. J Comp Neurol 366:547-557.
    [3] Oliveira LMB, Seminara SB, Beranova M, et al. 2001. The importance of autosomal genes in Kallmann syndrome: genotype-phenotype correlations and neuro­-en­docrine characteristics. J Clin Endocrinol Metab 86:1532-1538.
    [4] Rugarli EI, Schiavi ED, Hilliard MA, et al. 2003. The Kallmann syndrome gene homolog in C. elegans is invol­ved in epidermal morphogenesis and neurite bran­ching. Development 129:1283-1294.
    [5] Dode C, Levilliers J, Dupont JM, et al. 2003. Loss-of-function mutation in FGFR1 cause autosomal domi­nant Kallmann syndrome. Nat Genet 33:463-465.
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